Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
Fabrik. Wenn er dann nach Hause kam, erwartete er, dass sie zusammen aßen und Johanna ihn dabei unterhielt. Er fragte sie aus, und wenn sie dann ihren zumeist ereignislosen Tag Revue passieren ließ, nickte er freundlich und informierte sie, wann er zu Bett gehen wollte und sie dort erwartete. Dann zog er sich in sein Arbeitszimmer zurück. An einem dieser Abende, Johanna sah sich bereits wieder lesend im Wintergarten, kam unerwarteter Besuch.
Es waren Thomas’ Vater und sein älterer Bruder Marcus. Johanna wurde noch immer nervös, wenn sie auf die Mitglieder der einflussreichen Fabrikantenfamilie traf. Sie behandelten Johanna herablassend, als wollten sie ihr mit jeder Geste deutlich machen, dass alle Welt wusste, warum ihre Eltern sie mit Thomas verheiratet hatten. An diesem Abend hatten sie kein Anstandsgefühl mehr im Leib und ignorierten sie.
» Thomas, wir müssen reden « , eröffnete der alte Waters das Gespräch. Auf seinem Gesicht sprossen rote Flecken. Er war wütend und konnte seine Gefühle kaum im Zaum halten. Marcus neigte sich zu seinem Bruder vor und raunte ihm etwas ins Ohr.
» Bleib im Wohnzimmer, Johanna! « , knurrte Thomas daraufhin, und die drei Männer verschwanden in seinem Arbeitszimmer. Die Tür fiel krachend ins Schloss, und Johanna zuckte zusammen. In den Schränken klirrte das Porzellan. Mit langsamen Schritten ging sie ins Wohnzimmer und ließ sich in einen der neuen cremefarbenen Sessel sinken.
Sie hörte hin und wieder, wie die Unterhaltung der Männer wütend aufwallte, wie ferne Brandung.
Von jenem Tag an war alles anders. Thomas war ständig gereizt, oft blieb er bis spät abends in der Fabrik, und dann, nach knapp zwei Wochen, die sie wie ein Geist im eigenen Haus verbracht hatte, kam er nach Hause und war wie ausgewechselt.
Er brachte ihr Blumen und ein Collier mit und bat sie mit sanften Küssen um Verzeihung.
» Du hattest Sorgen, das verstehe ich. Ich wünschte nur, du würdest mir davon erzählen, vielleicht finden wir gemeinsam eine Lösung. «
Er stand hinter ihr und strich ihr liebevoll über die Schultern. An ihrer Kehle funkelte das Collier. Ihre Blicke begegneten sich im Spiegel, vor den sie getreten waren.
» Damit will ich dich nicht belasten, Liebste. Ohnehin ist das Problem behoben. Kein Grund, sich Gedanken zu machen. «
» Das, das freut mich. « Johanna bekam ein mulmiges Gefühl, als hätte dieses Problem auch etwas mit ihr zu tun.
» Ich habe dir etwas zu sagen, meine Liebe « , begann Thomas und nahm sie bei den Händen. » Unsere Zukunft liegt nicht hier in England, sondern in den Kolonien! Wir gehen nach Neuseeland. Dort ist alles möglich. «
» Aber… warum? « , stotterte sie schockiert.
» Dieser Saustall voller Eitelkeiten, der sich London schimpft, widert mich an. Hier ist nichts mehr zu holen. In Neuseeland bauen wir uns ein eigenes kleines Königreich auf. Du hast doch immer Freude an Dingen aus den Kolonien gehabt, nicht wahr? Nun kannst du sie dir mit eigenen Augen ansehen. «
» Und, und wann soll es losgehen? « , fragte Johanna, ihr schwindelte, und ihre Knie waren weich geworden. Als junges Mädchen hatte sie geträumt, einmal einen Forscher zu heiraten und mit ihm die Welt zu entdecken, aber da war sie vierzehn gewesen und vergötterte ihren Vater und seine exotischen Schätze, es waren absurde Träume gewesen, mehr nicht.
» Ich reise mit dem nächsten Schiff ab, du kommst nach, wenn es so weit ist. « Er versuchte, sie zu küssen, doch Johanna drehte den Kopf weg. Ihre Welt war plötzlich dumpf, wie in Watte gepackt. Sie sollte fort, für immer fort.
Johanna verbrachte die verbleibenden Wochen bis zu Thomas’ Abreise damit, ihr gerade erst fertig eingerichtetes Heim gemeinsam mit den Angestellten in Seekisten zu verpacken. Sie blieb merkwürdig gefasst, die Traurigkeit packte sie erst, nachdem sie im Hafen Thomas’ Schiff nachgewinkt und Arthur Remington sie nicht nach Hause, sondern zurück ins Anwesen ihrer Eltern gebracht hatte.
Es war plötzlich, als hätte es weder Thomas noch die kurze Liebesgeschichte mit Liam je gegeben. Anthony Chester stürzte sich gemeinsam mit seiner Tochter in die Arbeit, mehr über ihre neue Heimat Neuseeland herauszufinden und sich so davon abzulenken, dass die Familie endgültig auseinandergerissen wurde. Johannas Mutter haderte mit der Zukunft und erging sich in endlosen Ausführungen, welcher Ehemann ihr dieses Schicksal erspart hätte. Johanna verkniff sich ihre Antwort und dachte
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