Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
letzten Moment gestützt hätte, wäre sie hinuntergefallen.
Tamati wandte sich schnell ab, doch sie hatte genau gesehen, dass er lachte. Wie auch Abigail, die bereits auf einer Shire-Stute saß, die außer ihrer Reiterin noch mehrere Kisten und Bündel trug. Die Irin kniff den Mund zusammen und zupfte betreten an der langen, zottigen Mähne des Pferdes.
Johanna schwieg zornig, doch lange hielt die schlechte Stimmung nicht an. Wie die Pferde, so war auch sie neugierig, das fremde Land zu erkunden.
Als es endlich losging, bewegten sich die Tiere zögerlich. Sie waren steif und geschwächt von der dreimonatigen Reise im Bauch des Schiffes.
Doch als sie das weite, grasbedeckte Hügelland vor sich sahen, gab es kaum mehr ein Halten.
Tamati führte sie eine breite sandige Straße entlang, die dem Verlauf des Whanganui folgte. Große Vogelschwärme flogen über ihnen. Möwen segelten knapp über dem Wasser, und in dem dichten Grün zwitscherten zahllose Stimmen.
Die Hügel sahen nicht viel anders aus als in England. Schafe und einige Rinder liefen umher. An vielen Stellen war der Boden sumpfig und nicht für die Viehhaltung zu gebrauchen. Dort wuchsen Farn, kleine Palmen und Schlingpflanzen, die alles zu einem undurchdringlichen Durcheinander verwoben.
Tamati versprach, dass sie in den ersten Tagen problemlos in kleinen Orten und auf Bauernhöfen übernachten konnten. Die Region Manawatu -Whanganui war schon vor Ankunft der Europäer relativ dicht besiedelt gewesen, wenngleich Sümpfe und undurchdringliche Wälder wie auch die ein oder andere Dürre es den Bewohnern nicht immer leichtmachten. Kriege waren daher zwischen den Maori-Stämmen an der Tagesordnung, aber, wie Tamati sie zu beruhigen suchte, für Durchreisende war die Gegend relativ ungefährlich. Im Moment schien alles ruhig, und auch Johanna fiel es schwer, bei der üppigen grünen Landschaft und den gepflegten Höfen an Krieg zu denken.
Sie mochte das Land schon jetzt. Überall gab es etwas zu entdecken. Selbst an den Wegrändern lugten die farbenprächtigsten Orchideen hervor.
Abigail fürchtete sich vor dem Wald und seinen Geräuschen, merkwürdigerweise aber nicht mehr vor dem Wilden, der ihr Führer war.
Keine drei Tage war es her, dass Tamati in der kleinen Gaststätte erschienen war. Da hatte er sein Haar zusammengebunden, sodass es glatt am Kopf anlag. Jetzt fiel es ihm dicht gelockt bis über die Schultern, schwarz wie Pech und Rabenfedern.
Seine dunklen Augen ruhten fast ständig auf Abigail. Im Gasthaus hatte sie noch Angst vor ihm gehabt, obwohl er sich scheinbar Mühe gegeben hatte, einen ersten guten Eindruck zu hinterlassen. Er wollte die frisch angekommenen Engländer nicht erschrecken. Die schlecht sitzende Kleidung und die klobigen Stiefel hatten merkwürdig an ihm ausgesehen, als wäre er verkleidet. Jetzt zog er die Schuhe nur noch an, wenn sie unwegsame Strecken zu Fuß gehen mussten. Die restliche Zeit über verschwanden sie in zwei großen Flechttaschen, die er hinter dem Sattel befestigt hatte. Sein Pferd wirkte neben den Kaltblütern von Waters regelrecht schmächtig, war aber wendig und unerschrocken wie sein Reiter.
Arthur behandelte den Maori seit dem ersten Tag mit großer Herablassung. Es schien Tamati nichts auszumachen. Er ließ dessen Worte an sich abprallen, und Abigail beneidete ihn um diese Fähigkeit. Arthur war ein arrogantes Ekel. Wenn einfache Pächter wie Abigail für ihn schon verachtenswert waren, in welch eine Kategorie steckte er dann erst einen Eingeborenen?
Die Irin verstand genau, was in Tamati vorging. Er brauchte Arthurs Anerkennung nicht, denn er wusste, dass die Neuankömmlinge von ihm abhängig waren. Nur er konnte sie sicher durch den Urwald führen.
Und genau da waren sie nun. Umgeben von Bäumen, wie sie nur in den schlimmsten Albträumen existieren konnten. Die Gewächse waren riesig. Unheimliche Gebilde, die aussahen, als würden sie jeden Moment zum Leben erwachen, um mit ihren knorrigen Armen nach ihr zu greifen und sie zu verschlingen.
Im Schatten des Waldes hatte Tamati sich verändert. Die westliche Kleidung war nicht mehr als eine blasse Erinnerung. Hemd und Hose waren einer Art kurzem Rock gewichen. Über dem bloßen Oberkörper trug er einen kunstvoll gewebten Umhang aus Bast, der mit schwarzen Fransen und einem Federkragen verziert war. Die Muskete auf seinem Rücken war nunmehr das einzige Zeichen, dass Tamati die zivilisierte Welt nicht völlig fremd war.
Im Wald ritt er immer
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