Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
riss er auch den Brief des Schotten auf. Er war kurz gefasst, in winziger Schrift. Mehr Papier hatten sie ihm wohl im Gefängnis nicht zugebilligt, doch es war immer noch zu viel. Der Schotte schwor Johanna ewige Liebe, und dass sich ihre Wege irgendwann wieder kreuzen würden. Verdammt sei er, so etwas einer verheiraten Frau, Thomas Waters’ Ehefrau, zu schreiben! Verdammt! Wenn er nur könnte, würde er sich eine Pistole nehmen, in den Tower marschieren und Fitzgerald den Lauf auf die Brust setzen, ganz gleich, was seine Aktion für Konsequenzen mit sich bringen würde. Das ging zu weit!
Fünf Tage nachdem sie die Berling-Farm verlassen hatten, befanden sie sich noch immer in der Region Manawatu -Whanganui. Am Abend zuvor hatten sie ihr Lager auf einer kleinen Lichtung in unberührter Natur aufgeschlagen. Abigail war schon früh auf und beschloss, die Zeit nach der Dämmerung zu nutzen und sich einen kleinen Wunsch zu erfüllen.
Der See breitete sich wie ein glänzendes Seidentuch zwischen den Hängen aus. Ein kaum spürbarer Wind kräuselte die Oberfläche weit draußen und strich flüsternd durch das Schilf. In Ufernähe gluckerte es leise zwischen den Halmen. Die Sonne ging gerade erst auf und überzog Pflanzen, Berge und See mit einem goldenen Schimmer.
Abigail schloss die Augen und genoss für einen Moment das Licht auf ihrer Haut. Der Morgen war kühl, doch nicht kälter als in Irland, wenn sie im Herbst im Loch Léin gebadet hatte. Eine Verlockung. Die anderen schliefen noch, sie war ungestört, niemand würde sie sehen.
Abigail ging zu einem kleinen Uferwäldchen, wo sich letzte Schatten vor der aufgehenden Sonne unter tief hängenden Zweigen verbargen. Durch kreuz und quer wachsende Baumfarne vor unliebsamen Blicken geschützt, legte sie ihr Oberkleid ab. Die Schuhe stellte sie daneben.
Es tat gut, das dichte Gras unter den Fußsohlen zu spüren. Abigail zelebrierte jeden einzelnen Schritt, der sie zum Ufersaum führte. Ihr winziges Stück Seife duftete nach Rosen. Sie hielt diesen Schatz fest umklammert, es war ein Geschenk von Johanna. Wenn sie sich damit wusch, würde Abigail duften wie eine feine Dame.
Flüsterndes Gras machte Uferschlamm Platz, der sich weich zwischen ihre Zehen drückte. Bald sog sich ihr Unterrock vollWasser und klebte als kalte zweite Haut an ihren Beinen. Und doch war es ein Genuss. Sobald Abigail bis zur Hüfte im Wasser stand, tauchte sie mit einem unterdrückten Schrei unter.
Sie schäumte ihr Haar ein, die Arme, wusch das Unterkleid gleich mit, rieb alles ab, bis das duftende Seifenstück aufgebraucht war.
Als sie einen Moment innehielt, knackte es plötzlich im Unterholz. Sie fuhr herum, doch da war nichts. Kein Lüftchenregte sich, die Wedel der Baumfarne schaukelten kaum. Bis auf einen kleinen Vogel, der unbeirrt sein Lied trällerte, war es still.
Abigail schalt sich töricht und versuchte den Puls, der laut in ihren Schläfen hämmerte, zu ignorieren. Die seltsame Spannung blieb.
Abigail beschloss, ihr Bauchgefühl zu ignorieren. Sie raffte ihren Rock, knotete ihn auf Hüfthöhe zusammen und schwamm los.
Wie sehr hatte sie es vermisst, dieses Gefühl von Freiheit und Schwerelosigkeit. Ihre Hände teilten das Wasser, die Füße erahnten kalte, tiefe Schichten und trugen sie weiter hinaus.
Eine braun gefiederte Ralle beäugte sie misstrauisch, stieß einen Warnlaut aus und tauchte ab.
Abigail wendete und blickte zurück zum Ufer. Es lag unberührt da. Die Luft war klar. Kein Rauch war zu sehen und verriet, dass die anderen wach geworden waren.
Schweren Herzens glitt Abigail nach einer Weile wieder auf das Ufer zu. Sie wollte die Geduld ihrer neuen Herrin nicht auf die Probe stellen, und mittlerweile war Johanna sicherlich wach und wartete auf ihren Tee und das karge Frühstück.
Als sie aus dem Wasser stieg, war die Luft merklich wärmer geworden. Schnell war sie bei dem kleinen Wäldchen und wrang ihre Kleidung aus. Im Bündel lag ihr zweiter Unterrock. Sie zog sich hastig um und breitete den nassen Stoff zum Trocknen über einen Busch.
Neugierig schnupperte sie an ihrer Haut und musste lächeln. Sie duftete wirklich nach Rosen!
» Frisch gewaschen, genau so mag ich mein Liebchen! «
Abigail fuhr herum. Dort stand Arthur, keine vier Schritt entfernt von ihr, und musterte sie. Seine Blicke brannten sich wie Glutfunken durch das leinene Untergewand direkt auf ihre Haut und hinterließen schmerzende Male. Abigails Kehle wurde eng.
Lähmende Angst nahm ihr
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