Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
rennen. Bald schon entdeckte sie nackte Fußabdrücke auf dem schlammigen Pfad, Blutstropfen glänzten auf fiedrigen Blättern wie exotische rote Blumen. Es bestand kein Zweifel, wer hier noch vor Kurzem entlanggekommen war.
Der Pfad machte einen jähen Knick, verschwand zwischen einigen Felsen, wand sich um bemooste Baumstämme und schlanke Palmen. Johanna sah konzentriert auf den Boden, damit sie den Pfad nicht verlor oder fiel.
Plötzlich versperrte ihr ein Koloss von einem Mann den Weg. Ehe sie sich versah, hatte er sie gepackt. Johanna schrie entsetzt auf.
» Lass mich los! « , brüllte sie und schlug mit beiden Händen auf die tätowierte Brust des Fremden ein. Es schien ihm nichts auszumachen, sein Griff war eisern. Die Linien und Spiralen in seinem Gesicht machten es Johanna unmöglich, es zu lesen. Was sie empfand, war kaum zu verhehlen. Sie hatte himmelschreiende Angst.
Andere Maori kamen aus dem Dickicht. Es waren die Krieger, die mit Thomas’ Männern gekämpft hatten, dazu noch ein halbes Dutzend Frauen und Kinder.
Hariata kam als Letzte hinzu.
» Was wollen Sie hier? « , fragte sie kalt.
Johanna suchte nach Worten. Sie wusste doch selber nicht, warum sie hier entlanggelaufen war. Dann kehrte der stechende Schmerz in ihren Unterleib zurück und nahm ihr den Atem.
» Bist du Waters’ Frau? « , knurrte der Krieger mit hartem Akzent. Sein Atem streifte ihr Gesicht wie ein Todeshauch.
Johanna nickte, wenngleich ihr klar war, dass dieses Eingeständnis ihre Lage alles andere als verbesserte.
» Ich werde Sie töten, damit Waters weiß, was Pakeha wie ihm geschieht. «
» Sie ist nicht wie Waters. Lass’ sie los « , forderte Hariata ruhig und kam näher.
Johanna schluckte und sandte ein Stoßgebet gen Himmel, dass Gott Hariata geschickt hatte. Doch der Krieger schienen nicht bereit, sie gehen zu lassen.
» Der Pakeha hat meinen Bruder erschossen! Warum soll ich jetzt nicht seine Frau ins Jenseits schicken? «
So schrecklich die Situation war, Johanna konnte den Wunsch des Mannes nachvollziehen. Sie spürte das Beben seiner Brust hinter sich und fragte sich mit einem Mal, ob die furchtlosen Krieger der Maori wohl je weinten.
» Sie hat versucht, für uns zu sprechen… Außerdem willst du doch keine Frau töten, die ein Kind im Leib hat, oder? «
Die Hände des Fremden lösten sich langsam. Er würde sie gehen lassen, aber er tat es äußerst ungern. Johanna stolperte und legte beide Hände auf ihren Bauch. Das Ziehen verschwand.
» Gehen Sie heim, Mrs Waters « , drängte Hariata sie. » Gehen Sie am besten ganz weit fort von hier. «
» Ich… ich weiß nicht, wohin. Ich hab mich verirrt. «
Die Maori wies nach rechts.
» Dort entlang. Laufen Sie genau auf die Sonne zu. Sobald es abwärts geht, folgen Sie dem Tal. Los. «
» Kommst du wieder? «
Hariata schüttelte den Kopf, wandte sich ab und ging davon. Ihre Schritte waren lautlos, der Farn schien sich vor ihr auf magische Weise zu teilen. Johanna schluckte die Tränen hinunter, die ihr die Kehle zuschnürten. Ihre Beine setzten sich wie von allein in Bewegung. Sie folgte dem Licht. Als sie sich das nächste Mal umwandte, waren die Maori fort.
Mit Macht kehrten nun die Waldgeräusche zurück. Unsichtbare Vögel stießen schauerliche Laute aus, und der Regen wurde wieder stärker.
Im Dunkel unter dem Blätterdach war es bald unmöglich zu erkennen, aus welcher Richtung das wenige Licht kam.
Oder war das gar die Dämmerung? Johannas Herz pochte noch ein Quäntchen schneller. Die Nacht im Wald verbringen zu müssen war eine schreckliche Vorstellung. » Bitte nicht! « , flehte sie leise und begann, wieder zu rennen, obwohl ihr mittlerweile alles wehtat. Die Füße, die Beine. Und sie fror, obwohl sie schwitzte, als hätte sie Fieber.
Den Hang vor sich bemerkte sie zu spät. Ihre Füße glitten aus, sie stürzte, rutschte durch Unterholz und Gras, bis ein alter Baumstumpf den Fall aufhielt. Johanna kam keuchend auf die Beine. Bis auf ein paar kleine Abschürfungen war nichts geschehen. Sie wischte sich mit dem Ärmel Dreck aus dem Gesicht und blinzelte gegen den Regen.
War das da vorn nicht die Hütte? Die weißen Flecke, Schafe?
Der Wald war zu Ende. Endlich.
Mit letzter Kraft quälte sich Johanna den Hang hinab, stapfte durch tiefen Schlamm, der in ihre Stiefel quoll, jeder Schritt ein Kampf gegen den Morast. Sie zerrte den Rocksaum mit beiden Händen hoch, um nicht darüberzufallen.
» Mrs Waters! «
Sie sah überrascht
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