Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
Johanna im letzten Moment zurück. Die Maori schrien und stürmten vor, ihre archaischen Waffen über dem Kopf schwingend. Weitere Schüsse fielen. Mit einem ekelhaften, schmatzenden Geräusch traf die erste Keule ihr Ziel, dann war der Spuk plötzlich vorbei.
In die einsetzende Stille mischten sich Schmerzensschreie.
Mehrere Krieger lagen am Boden und wälzten sich in ihrem Blut, zwei von Thomas’ Leuten hatte es ebenfalls erwischt. In der Luft hing der Gestank von Kupfer und Schießpulver. Johanna hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen.
Ein weiterer Schuss krachte, und die Maori erstarrten. Thomas hielt die Waffe in den Himmel gerichtet.
» Ich sage es zum letzten Mal! Verschwindet von meinem Land, und wagt es nie, nie wieder, mich herauszufordern. Beim nächsten Mal gibt es keine Gnade. «
Johanna stand da, die Hände auf ihren Unterleib gepresst, der immer mehr schmerzte, und sah zu, wie die Welt sich ohne sie weiterdrehte.
Die Maori waren voll und ganz damit beschäftigt, ihre Toten und Verwundeten fortzubringen. Hariata stützte einen Mann, der ins Bein getroffen worden war. Blut machte aus den geometrischen Mustern der Tätowierung unsaubere Zacken, während er mit ihrer Hilfe tiefer in den Wald davonhumpelte.
Axtschläge verkündeten, dass Thomas sein Vorhaben umsetzte. Die Männer schlugen auf den heiligen Baum ein, als sei auch er ihr Feind. Von der anderen Seite setzten zwei eine lange Säge an. Das Metall im Holz quietschte, ein hoher Ton, als wimmere der Urwaldriese um Gnade.
Johanna blieb stehen, auch als Thomas auf sie zustürmte und ihr eine schallende Ohrfeige verpasste. Er fasste sie an den Schultern, schrie sie an und presste sie dennoch schützend gegen seinen Oberkörper, als ob er sie gernhätte. Doch Johanna fühlte sich in diesem Moment eher wie ein Ding, wie etwas, das er besaß und aus einer brenzligen Situation gerettet hatte.
» Mörder, du Mörder! « , wiederholte Johanna und versuchte, ihn von sich zu stoßen, doch Thomas hielt sie fest, tat ihr weh und grub zugleich sein Gesicht in ihr Haar.
» Ich hab es für dich getan, für uns, für unseren Sohn, versteh das doch. Ich liebe dich. «
» Was hat der Baum mit uns zu tun? Er ist den Menschen wichtig. Stell dir vor, jemand würde unsere Kirche einreißen! «
» Das ist alles abergläubischer Unsinn. «
» Nicht für sie! «
» Sollen sie sich doch einen neuen Baum suchen, den sie anbeten können. Sie haben hier nichts mehr verloren. Das ist mein Land und das Land meines Sohnes! «
Johanna sah ihn ungläubig an. Sie verstand ihn nicht. Diese Sache hatte nichts mit dem Land zu tun, nicht mit den Maori und auch nicht mit ihr. Hier war ein Geist aus Thomas’ Vergangenheit am Werk. Irgendeine Ungerechtigkeit, die ihm widerfahren war, die er nun an andere weitergab. Sie hätte zu gern gewusst, was dahintersteckte, doch in diesem Moment hasste sie ihn zu sehr, um Verständnis aufbringen zu können oder zu wollen.
Wieder war da der Schmerz im Unterleib, als wehre sich auch das ungeborene Kind gegen diesen grausamen Mann, der sein Vater werden sollte. Johanna atmete tief durch, als sich Thomas’ Griff an ihren Armen endlich ein wenig lockerte und das Blut zurück in die Hände floss, die bereits unangenehm kribbelten.
» Willst du unbedingt einen Krieg, Thomas? « , fragte sie ruhiger. » Wir haben keine Chance, wenn sich die Leute aus Urupuia mit anderen zusammentun. Es gibt doch schon jetzt Unruhen. «
Thomas verzog abschätzig den Mund.
» Davon verstehst du nichts. Aber hab keine Angst, mit ihren Knüppeln kommen sie nicht gegen unsere Gewehre an. «
» Ich wünschte, der Mann, den ich geheiratet habe, wäre jetzt auch bei mir in Neuseeland. Ich weiß einfach nicht, wer du bist. « Mit diesen Worten wand sie sich aus seinen Armen und ging fort. Nur aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, dass die Holzfäller schon einen gewaltigen Keil aus dem Baum geschlagen hatten, dann verschwand sie in dem grünen Farngewirr.
Zum ersten Mal fürchtete sie den Wald nicht. Vielmehr schien er sie zu umarmen und willkommen zu heißen. Johanna weinte, doch der Regen peitschte ihr ins Gesicht und spülte die Tränen mit fort, und auch dafür war sie dankbar.
In ihrer Wut verfehlte sie den Abzweig zur Hütte.
Als sie es merkte, war es ihr egal. Was wollte sie auch dort? Später würde Thomas heimkehren und ihr Streit von Neuem beginnen. Oder sie würden schweigen, das Schweigen war fast noch unerträglicher.
Johanna begann zu
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