Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
gibt es in diesem Falle nicht. Es tut mir leid, dass ich Sie in meine grüblerische Stimmung mit hineingezogen habe. Verzeihen Sie mir. «
» Aber selbstverständlich. « Ein zaghaftes Lächeln huschte über ihr Gesicht und machte sein Herz ein wenig leichter.
Er drückte ihre Hand, diese schmalen, zerbrechlichen Finger. Es war eine flüchtige Berührung, aber sie reichte aus, um Marinas Gesicht zum Strahlen zu bringen. Ihre Augen funkelten, als hätte er ihr gerade ein Versprechen gegeben. Liam hätte sich so gern in dem warmen Braun ihrer Augen verloren. Und vielleicht war das die Lösung, die sie und mit der Zeit auch ihn glücklich machen würde.
Doch nein, er konnte diesen Schritt nicht tun.
» Würden Sie mir die Freude machen und mit mir spazieren? «
» Nichts lieber als das. «
Liam erhob sich, rückte ihren Stuhl zurück und bot ihr seinen Arm.
Seine Augen streiften wie durch Zufall sein Notizbuch. Vergangenheit.
Drei Stufen führten von der Terrasse hinab in den Garten, der so ganz nach einem englischen aussah, einzig die Rufe der fremden Vögel störten. Marina lächelte, und Liam versuchte es auch.
August 1846
Im Tal des Windes
D er Winter war endlos. Ein grauer Tag reihte sich an den nächsten, geprägt von Regen und Schwermut. Johanna versuchte, so weiterzumachen wie bisher, ohne darüber nachzudenken, was sie verloren hatte, und entfernte sich innerlich immer mehr von ihrem Mann. Sie teilte nicht mehr das Bett mit Thomas, wenngleich er sie immer wieder dazu drängte. Er machte ihr den Verlust des Kindes nicht zum Vorwurf, aber er sah auch nicht ein, es nicht gleich noch einmal zu versuchen. Seine Nähe verurteilte sie zur Stille, die sie in sich gekehrt und wie mit einem Panzer aus Eis umgeben erduldete. Früher war es Johanna leichtgefallen, mit ihm über belanglose Dinge zu reden und so die Stille zu füllen. Jetzt war alles anders. Albträume plagten sie, in denen sie mal sah, wie Thomas den Maori erschoss, und mal ihr Kind verlor.
Johanna verbrachte die meiste Zeit mit Hariata, deren Geschichten über all die Menschen, die sie verloren hatte, sich als weiterer Schatten zu ihrer eigenen grauen Traurigkeit gesellte. Die Maori war trotz ihrem Hass auf Thomas Waters wiedergekehrt, weil sie Johanna nach dem tragischen Verlust nicht allein lassen wollte. Dafür war ihr Johanna unendlich dankbar. Dennoch war das Haus leer ohne Abigail, die jetzt glücklich in Urupuia lebte. Sie hatte Tamati noch im Mai geheiratet. Es war ein riesiges Fest gewesen, zu dem Johanna nach Urupuia gereist war, obwohl sie sich am liebsten im Haus verkrochen hätte. Father Blake traute das Paar, und dann fand ein gewaltiges Fest auf dem Versammlungsplatz statt, zu dem die Menschen von weither kamen. Schon am Morgen hallten die rhythmischen Ruderschläge großer Kriegskanus über den See, und über die Berge kamen entfernte Verwandte und Verbündete, um der Hochzeit des berühmten Tätowierers beizuwohnen. Johanna war es sogar gelungen, ihren Kummer für kurze Zeit zu verdrängen.
Die Maori schienen kein Problem damit zu haben, dass Tamati eine Pakeha ehelichte, ganz im Gegensatz zu Thomas’ Arbeitern, die sich zwar unter den Einheimischen Ehefrauen suchten, es aber als Verbrechen ansahen, wenn eine weiße Frau keinen von ihnen, sondern einen Maori als Ehemann wählte.
In den ersten Wochen war Abigail häufiger zu Besuch ins Tal des Windes gekommen, und ihr Glück strahlte auch ein wenig auf Johanna ab. Mit dem schlechter werdenden Wetter wurden ihre Besuche seltener.
Die Schafe, die unter Abigails Aufsicht so gut gediehen waren, brauchten zu dieser Jahreszeit wenig Fürsorge. Der Winter war trotz der Feuchtigkeit verhältnismäßig mild, und der dichte Pelz schützte die Tiere. Es reichte, wenn der Maori-Junge Ben, der kleine Arbeiten auf dem Hof verrichtete, hin und wieder nach ihnen sah und sie auf eine andere Weide trieb, wenn das Gras abgefressen war.
Thomas war oft fort, und Johanna musste sich an den Tagen, an denen er zu Hause war, zwingen, mit ihm an einem Tisch zu sitzen und ihm eine gute Ehefrau zu sein. Eines Tages kam er nicht allein zur kleinen Hütte.
Johanna stand in der geöffneten Tür und beobachtete die beiden Reiter, die sich einen Weg das Tal hinaufbahnten. Der Wind trieb bedrohliche Wolkengebilde über den Himmel, zerfetztes Blei, grau und schwer. Regen fiel in breiten Bändern und durchtränkte das Land. Als Johanna bemerkte, dass der Mann neben Thomas nicht Arthur war, hob sich ihre
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