Im Taumel der Herzen - Roman
gewesen sein?«
»Vermutlich auf der Suche nach einer Londoner Zeitung, um zu überprüfen, ob die Nachricht von unserer bevorstehenden Hochzeit tatsächlich offiziell verkündet wurde. Mein verfluchter alter Herr kann uns nicht einfach beim Wort nehmen. «
»Ich gehe wohl besser in mein Zimmer zurück.«
»Du bleibst, wo du bist!«
»Inzwischen bin ich wirklich zu müde, um die ganze Lacherei zu wiederholen.«
»Ich auch.« Mit einem leichten Grinsen wandte er sich vom Fenster ab. »Trotzdem möchte ich, dass uns das Hausmädchen morgen früh gemeinsam hier vorfindet und ihm darüber berichtet.«
Julia stöhnte. Sie würde in dieser Nacht keinen Schlaf finden, so viel stand fest.
39
R ichard lag schon lange wach, als endlich das Klopfen an der Tür ertönte. Was für eine höllische Nacht! Er hatte kaum geschlafen. Dabei schien es ihm anfangs eine so gute Idee zu sein, das Bett mit Julia zu teilen, um ihrer gemeinsamen Scharade noch mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen. Aber er hatte nicht in Betracht gezogen, wie es sein würde, Julias sinnlichen Körper die ganze Nacht neben sich zu spüren und dennoch nicht berühren zu dürfen. Er hatte törichterweise angenommen, seine fleischlichen Gelüste im Zaum halten zu können, indem er sich auf die schlimmen Zeiten konzentrierte, die sie beide in der Vergangenheit durchgemacht hatten, und sich den Grund für ihren Aufenthalt in Willow Woods immer wieder ins Gedächtnis rief. Was für ein Narr er doch war!
Vor seinem geistigen Auge hatte er jede einzelne ihrer früheren feindseligen Begegnungen Revue passieren lassen, doch es half nichts. Julia war einfach nicht mehr jenes kleine Monstrum. Sie hatte sich so sehr verändert, dass sie ihm wie ein völlig anderer Mensch erschien.
Inzwischen konnten sie tatsächlich normale Gespräche führen, ohne sich gegenseitig auf die Palme zu bringen. Julia lachte mit ihm. Sie ging auf seine Neckereien ein. Was für eine Überraschung und Freude das für ihn gewesen war! Wie aber sollte er die Tatsache einschätzen, dass sie ihn gerettet hatte?
War das wirklich aus reinem Eigennutz geschehen, wie er zunächst angenommen hatte? Oder war Julia einfach ein so mitfühlender Mensch, dass sie sich genötigt gefühlt hatte, ihm zu helfen, obwohl sie ihn doch eigentlich hasste? Empfand sie immer noch so für ihn? Er war sich nicht mehr sicher.
Er musste sich eingestehen, dass die neue, gewandelte Julia ihn erstaunte — und faszinierte. Nach allem, was sein Vater getan hatte, war es sehr mutig von ihr gewesen, hierherzukommen und dies alles zu inszenieren. Auch wenn es aus purem Eigennutz geschah. Für ihn selbst besaß der Vertrag keine Bedeutung, weil er inzwischen in einem anderen Teil der Welt lebte und heiraten konnte, wen er wollte und wann es ihm passte. Für Julia aber war es wichtig, dass die Vereinbarung vernichtet wurde, damit auch sie endlich in der Lage war, ihr Leben weiterzuleben und einen anderen zu heiraten.
Rasch schüttelte er diesen Gedanken ab. In dem Moment klopfte es an der Tür, und er rief: »Herein!«
Julia rührte sich neben ihm, wachte aber nicht auf. Ob sie immer so tief schlief? Oder hatte sie eine ähnlich höllische Nacht hinter sich wie er? Was für ein interessanter Gedanke, auch wenn ihm diese Möglichkeit eher unwahrscheinlich erschien. Auf Malorys Schiff hatte sie sich vielleicht von ihrer Leidenschaft hinreißen lassen, aber zu jenem Zeitpunkt war sie emotional sehr in Aufruhr gewesen – und er ein Schuft, weil er das ausgenutzt hatte.
Trotzdem sah sie gerade verdammt gut aus. Mit ihrem aschblonden Haar, das über das ganze Kissen ausgebreitet lag, hatte sie etwas von einem schlafenden Engel. Im Grunde war sie schon als Kind schön gewesen – einmal abgesehen von ihrer ersten Begegnung, bei der er sie als heulende Fünfjährige mit fleckigen Wangen erlebt hatte. Er hätte wissen müssen, dass sie zu einem Prachtstück heranwachsen würde.
Obwohl gerade die Tür aufging, konnte er den Blick kaum
von Julia abwenden. Ein Hausmädchen kam mit einem Krug frischem Wasser herein. Als die junge Frau sah, dass er noch im Bett lag, stieg ihr die Röte in die Wangen.
Sichtlich verlegen trat sie den Rückzug an. Da Richard nicht sicher war, ob sie Julia überhaupt wahrgenommen hatte, sagte er: »Lassen Sie das Wasser hier«, damit sie ganz hereinkommen und seine schlafende Gefährtin bemerken musste. Wie sollte jemand diesen leuchtenden Fleck aus weißgoldenem Haar übersehen?
Bedauerlicherweise
Weitere Kostenlose Bücher