Im Taumel der Herzen - Roman
nickte die junge Dienstbotin zwar, hielt jedoch die Augen starr auf den Boden gerichtet, während sie zum Waschtisch und wieder zurück eilte, ohne auch nur einen einzigen weiteren Blick in Richtung Bett zu werfen. Richard seufzte. Es half nichts, er musste es dem Mädchen explizit erklären, denn sonst wäre die höllische Nacht, die er hinter sich hatte, völlig umsonst gewesen.
»Das braucht Ihnen nicht peinlich zu sein. Schließlich heiraten wir in wenigen Wochen!«, verkündete er, ehe die Tür sich wieder schloss.
Bestimmt hatte die junge Frau ihn gehört, auch wenn ihre Miene völlig reglos geblieben war. Richard rief sich ins Gedächtnis, dass Julia und er für ihr gemeinsames Vorhaben keinesfalls Wochen brauchen würden. Er war recht zuversichtlich, dass es ihm gelingen würde, den Vertrag bereits nach wenigen Tagen intensiven Suchens zu finden. Sein Vater mochte noch so viele abschließbare Verstecke im Haus installiert haben – sie konnten sich alle nur in zwei Räumen befinden: Miltons Arbeitszimmer und Schlafzimmer. Das Einzige, was Richard Sorgen bereitete, war die Tatsache, dass er selbst, wäre er in der Situation seines Vaters gewesen, den Vertrag bestimmt nicht weggeschlossen hätte. Nachdem sie so unerwartet aufgetaucht waren, hätte er ihn Tag und Nacht am Körper getragen. Was für ein schrecklicher Gedanke!
Höchst verdrossen erhob er sich und zog sich an. Anschließend kehrte er zum Bett zurück, um Julia zu wecken, hielt aber mitten in seiner Bewegung inne. Er wagte es plötzlich nicht mehr, sie anzufassen, da er einen Teil seiner Verdrossenheit darauf zurückführte, dass er sie immer noch begehrte! Dieses Begehren machte ihm schwer zu schaffen. Er hätte einfach nur die Seite des Bettes anzustupsen und ihren Namen auszusprechen brauchen, um sie zu wecken, war jedoch nicht sicher, ob er damit umgehen konnte, sie so warm und vom Schlaf zerzaust vor sich zu sehen, wenn sie sich in ihrem offenherzigen Nachtgewand im Bett aufsetzte. Stattdessen ging er allein hinunter, um zu frühstücken.
Als er das kleinere Frühstückszimmer betrat, saß dort unglücklicherweise noch sein Vater am Tisch. Nach all den Jahren hätte Richards Magen sich bei Miltons Anblick nicht mehr verkrampfen dürfen, er tat es aber dennoch. Die vielen Prügel während seiner Jugendjahre hatten grausame Erinnerungen hinterlassen. Wie schrecklich, wenn man mit seinem Vater nur Schmerz verband – und nichts weiter!
»Du kommst spät«, bemerkte Milton in missbilligendem Ton, während Richard ihm gegenüber Platz nahm.
Richard starrte ihn an. »Sehe ich aus wie ein kleines Kind, dem man sagen muss, wann es bei Tisch zu erscheinen hat?«
»Du siehst aus wie der störrische Rebell, der du immer warst.« Milton beäugte den Pferdeschwanz, den Richard über die Schulter nach vorn hatte fallen lassen. »Hast du vor, das anlässlich der Hochzeit abzuschneiden?«
»Nein.«
»Du willst diesem Haus Schande machen …?«
»Kein Mensch wird sich einen Deut um mein Aussehen scheren, Vater. Außerdem geht es dich nicht das Geringste an, wie ich meine Haare trage. Haben wir uns verstanden?«
Milton verzichtete wohl nur deswegen auf eine Antwort, weil gerade ein Bediensteter hereinkam und einen Teller vor Richard abstellte. Mit einem kompletten Frühstück. Ohne jede Wahlmöglichkeit. Richard biss für einen Moment die Zähne zusammen, entspannte sich aber genauso schnell wieder. Er wollte nicht kleinlich sein. Das Essen war genießbar und reichlich bemessen. Wenigstens knauserte sein Vater nicht am Allernotwendigsten, sondern ernährte sich und seine Familie anständig.
Doch als wollte Milton seinem Sohn noch einmal explizit unter die Nase reiben, dass er bei den Mahlzeiten kein Mitspracherecht hatte, belehrte er Richard: »Wir essen morgens pünktlich um acht, mittags pünktlich um eins und abends pünktlich um sieben. Auf diese Weise kann die Köchin, die nicht viele Helfer hat, ihren Tag entsprechend planen. «
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass die alte Greta sich wegen irgendetwas beschweren würde. Sie ist eine wundervolle Köchin und eine der wenigen Bediensteten, die ich in liebevoller Erinnerung habe. Warum habe ich sie eigentlich noch nicht zu Gesicht …?«
»Ich musste Greta gehen lassen. Tatsache ist, dass all die alten Dienstboten längst durch jüngere ersetzt sind, die nicht so viel Lohn fordern.«
Richard konnte von Miltons Miene ablesen, dass sein Vater ihn dafür verantwortlich machte, weil er, Richard,
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