Im Taumel der Herzen - Roman
Als sie jedoch merkte, dass ihre Heiterkeit ihn ganz und gar nicht erheiterte, riss sie sich am Riemen und versuchte eine ernste Miene aufzusetzen. Was ihr nicht gelang.
Richard verdrehte leicht verärgert die Augen und fügte hinzu: »Glaubst du mir wenigstens, dass ich Schatzsucher war?«
Das war eine zu faszinierende Vorstellung, um sie mit einem spöttischen Lachen abzutun. Neugierig starrte Julia ihn an. »Wirklich?«
Er machte nun keinen so verärgerten Eindruck mehr und nickte. »Mein alter Kapitän ist ein leidenschaftlicher Schatzsucher, immer schon gewesen, und hat es dann irgendwann zu seinem Hauptberuf gemacht.«
»Habt ihr je einen Schatz gefunden?«
»Genug, um die Jagd danach weiterhin höchst aufregend zu finden. Frag Gabby! Mein Kapitän ist ihr Vater.« Sie waren beim Haus angekommen, doch statt die Tür zu öffnen, sah Richard Julia an und fragte: »Reitest du wirklich gern?«
»Reiten ist eine meiner großen Leidenschaften.«
»Eine?«
Julia wurde rot. Sie hatte nicht daran gedacht, dass dies in seiner Gegenwart eine unglückliche Formulierung war. Zum Glück blieb ihr die Antwort erspart, denn plötzlich war das Rumpeln einer Kutsche zu hören, und Richard fuhr herum.
»Charles?«, überlegte Julia laut.
»Ich hoffe es!«
Tatsächlich sprang sein Bruder bereits aus der Kutsche, noch ehe sie richtig zum Stehen gekommen war, und riss Richard in seine Arme. »Was machst du denn hier?«, rief Charles aus. »Ich dachte …«
»Das erkläre ich dir später«, fiel Richard ihm rasch ins Wort.
»Du hast Julia dabei?« Charles lächelte ihr zu. »Heißt das etwa …«
»Ja.« Richards knappe Antwort bewirkte, dass Charles erfreut lachte.
Julia widerstand dem Drang, besorgt die Stirn zu runzeln. Hatte Richard wirklich nicht vor, seinen Bruder in ihre Pläne einzuweihen? Dann aber mutmaßte sie, dass er einfach nicht riskieren wollte, vor dem Haus dabei ertappt zu werden, wie er darüber sprach. Die Geschichte würde viele Erklärungen erfordern.
Die Tür der Kutsche schwang langsam wieder zu, doch als das Fahrzeug nun ganz zum Stehen kam, gebot ihr eine kleine Hand Einhalt, und ein Junge stieg aus. Ein hübscher Junge, der seinem Vater sehr ähnlich sah, nun aber sehr reserviert und verwirrt dreinblickte.
Charles sagte zu seinem Sohn: »Komm her, und lerne deinen Onkel kennen, Mathew!«
Richard ging in die Knie und streckte ihm seine Arme entgegen. Mathew zögerte jedoch schüchtern. Er warf einen hilfesuchenden Blick zu seinem Vater hinüber.
Charles lächelte. »Er ist mein Bruder, Mathew. Der einzige, den ich habe.«
Nun begriff der Junge und stürmte grinsend auf Richard zu. Es war ein so bewegender Moment, dass Julia vor Rührung am liebsten geweint hätte, weil Richard so liebevoll dreinblickte, als er seinen Neffen zum ersten Mal in den Armen hielt.
In diesem Moment öffnete Milton die Haustür und streckte dem Jungen mit einem erfreuten Lächeln seinerseits die Arme entgegen. Lachend rannte Mathew die Treppe hinauf, um sich von seinem Großvater umarmen zu lassen.
»Habe ich dir gefehlt?«, rief der Junge.
»Das weißt du doch«, antwortete Milton, ehe er mit dem Jungen im Haus verschwand.
Richard erhob sich wie in Trance. »Gütiger Gott! Kneif mich in den Arm, Charles, sonst glaube ich nicht, dass ich das eben wirklich gesehen habe!«
Charles, der neben ihm stand, meinte lachend: »Ich habe dir doch erzählt, dass er sich gegenüber meinem Sohn von seiner besten Seite zeigt. Für Mathew ist er alles, was ein Großvater sein sollte.«
Richard musterte seinen Bruder eindringlich. »Du meinst, der Vater, den wir nie hatten?«
»Ja.«
41
K latschnass saß Richard neben seinem Bruder auf dem Steg. Obwohl er sein Hemd ausgezogen hatte, lief ihm das Wasser aus seinen nassen Haaren noch immer über Brust und Rücken und tropfte von seiner abgeschnittenen Hose. Es würde aber nicht lange dauern, bis er wieder trocken war, die Sonne schien an diesem Tag so warm.
Während ihrer Kindheit hatten er und sein Bruder viel Zeit an diesem friedlichen Ort verbracht. Rundherum standen stattliche alte Bäume, und jenseits der gepflegten Rasenflächen wuchsen jede Menge Feldblumen. Als Jungen war es ihnen leichtgefallen, zu vergessen, wo sie sich befanden, solange sie dem Haus den Rücken zukehrten.
Richard hatte während des Mittagessens erfahren, dass Mathew nie schwimmen gelernt hatte, und sich bereiterklärt, es ihm gemeinsam mit Julia beizubringen. Der Junge hatte sein Angebot
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