Im Taumel der Herzen - Roman
hätte sie dann eine weitere Chance gehabt, ihm sein Vorhaben, England schnellstmöglich zu verlassen, doch noch auszureden, ehe es zu spät war. Auf dem Schiff konnte sie ihn auch nicht finden, bevor der Anker gelichtet wurde, obwohl man ihr versichert hatte, dass er irgendwo sein müsste.
Julia war zumindest froh darüber, dass Gabrielle und Drew sich bereiterklärt hatten, so eilig aufzubrechen, auch wenn sie sich fragte, ob Richard ihnen überhaupt von ihrer Heirat erzählt hatte. Man hatte ihr eine eigene Kabine zugewiesen, also behielt er es vielleicht für sich – nein, den Grund für Julias Anwesenheit an Bord konnte er ihnen wohl kaum verschwiegen haben.
Carol hatte gesagt: Du musst erst einmal einen ganzen Ozean überqueren, ehe du vor irgendeine offizielle Stelle treten kannst, um eine Ehe zu beenden, die vielleicht keiner von euch beiden wirklich beenden will. Lass Richard wissen, wie du empfindest! Aus ihrem Mund hatte das so einfach geklungen. Aber bestimmt hatte Carol noch nie mit einem Mann wie Richard zu tun gehabt. Er war besessen von Dämonen, die ihn auffraßen. Als er und sie noch Kinder gewesen waren, hatten diese Dämonen aus Julia ein Monstrum gemacht. Sie hatten den Großteil seines Lebens bestimmt. Auch jetzt konnten sie noch jederzeit hervorbrechen und Wut und Bitterkeit speien. Wenn diese Dämonen jedoch schwiegen – was immer dann der Fall war, wenn Richard nicht an seinen Vater dachte –, wurde er ein völlig anderer Mann. In diesen anderen Mann hatte Julia sich verliebt.
Den Blick noch immer auf die störenden Koffer gerichtet, gab sie ihren Plan, ein Nickerchen zu machen, wieder auf. Solange
ihr so viel im Kopf herumspukte, konnte sie bestimmt nicht schlafen. Stattdessen begann sie auszupacken. Schon nach kurzer Zeit wurde ihr klar, dass nicht einmal die Hälfte von dem, was sie mitgebracht hatte, im Schrank Platz finden würde, sodass sie schließlich nur ihre Lieblingskleider herausnahm. Der Rest würde samt den Koffern irgendwo verstaut werden müssen.
Als es plötzlich an der Tür klopfte, hielt sie instinktiv die Luft an. Einerseits hoffte sie, dass es Richard war, der mit ihr reden wollte, andererseits hoffte sie, dass er es nicht war, denn womöglich hatten ihn immer noch jene Dämonen im Griff – und sie hatte Angst, ihrerseits auch wieder in Wut zu geraten, wenn sie sich noch einmal mit ihren herumschlagen musste.
Aber es war Gabrielle, die den Kopf hereinstreckte, ihr ein strahlendes Lächeln schenkte und beim Eintreten fragte: »Wo ist denn deine Zofe?«
»Ihr Mann hat nicht erlaubt, dass sie England verlässt. Sie ist jung, und die beiden sind noch nicht lange verheiratet. Mir blieb keine Zeit, Ersatz für sie zu finden.«
Gabrielle verdrehte die Augen. »Ich weiß, was du meinst. Für uns war es zwar ohnehin an der Zeit, nach Hause zurückzukehren, aber Richard beharrte darauf, dass wir unbedingt heute aufbrechen müssten, oder er würde sich ein anderes Schiff suchen. Das war sehr unhöflich von ihm, und er ließ auch überhaupt nicht mit sich reden. Wegen der Zofe brauchst du dir allerdings keine Sorgen zu machen. Die meine ist hier an Bord und kann dir auch ein wenig zur Hand gehen.«
»Danke. Ich brauche nicht viel Hilfe, höchstens mit meinem Haar. Wenn ich es selbst hochstecke, bekomme ich es einfach nicht richtig hin.«
Gabrielle lachte. »Aufwendige Frisuren kannst du auf dem Schiff gleich vergessen, es sei denn, du möchtest die ganze Reise unter Deck verbringen. Die Triton macht ziemlich schnelle
Fahrt, was bedeutet, dass es an Deck meist sehr windig ist. Ich komme am besten zurecht, wenn ich mir das Haar einfach nur zu einem Zopf flechte.«
Julia hörte ihr nur mit einem Ohr zu, denn sie war immer noch ganz bestürzt darüber, dass Richard nicht einmal mit seinen engsten Freunden reden wollte. Schließlich sagte sie zu seiner Verteidigung: »Richard ist sehr wütend.«
»Wir haben gleich gemerkt, dass etwas nicht stimmt, aber das ist kein Grund, so schroff zu seinen Freunden zu sein«, schimpfte Gabrielle.
»Zu mir war er genauso. Er hat mich aufgefordert, heute reisefertig zu sein oder – mich von ihm zu verabschieden.«
»Aber du bist seine Frau!«
»Das hat er euch also erzählt?«
»Das ist das Einzige, was er uns erzählt hat«, antwortete Gabrielle und sah Julia erwartungsvoll an.
Julia hatte eigentlich keine Lust, schon wieder über die Katastrophe von Willow Woods zu reden. Jedes Mal, wenn sie das tat, traten ihr von Neuem die
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