Im Taumel der Herzen - Roman
Tränen in die Augen, und sie fand, sie hätte schon genug geweint.
Gabrielle aber fasste Julias Schweigen keineswegs als Wink auf, sondern fuhr fort: »Weißt du, als ich zu dir gesagt habe, du könntest seine Rettung sein, dachte ich eigentlich nicht an …«
»Schon gut. Es hat sowieso nicht funktioniert.«
»Nicht?«, fragte Gabrielle mit verständnisloser Miene. »Aber er hat dich doch geheiratet!«
Julia seufzte. Es half nichts.
Sie forderte Gabrielle auf, sich zu ihr zu gesellen, indem sie neben sich auf das Bett klopfte. Dann lieferte sie ihrer neuen Freundin eine knappe Zusammenfassung der Geschichte, die sie auch schon ihrem Vater erzählt hatte, wobei sie aber nichts von dem ganzen Spaß erwähnte, den sie in Willow Woods gehabt
hatte, wenn der Graf nicht dabei war. Allmählich kam es ihr vor, als hätte sie die vergnüglichen Stunden mit Richard, Charles und Mathew nur geträumt.
Den Blick nachdenklich auf den Boden gerichtet, fragte Gabrielle: »Du ziehst nicht in Betracht, mit ihm verheiratet zu bleiben?«
Was hatte es für einen Sinn, ihn in einer Ehe festzuhalten, die ihnen aufgezwungen worden war? Carol schien der Meinung zu sein, dass sich alles ändern würde, sobald Julia Richard gestand, dass sie ihn liebte. Julia glaubte das nicht. Wieso sollte sich etwas ändern, wenn er nicht genauso empfand wie sie?
Deswegen sparte sie es sich, all die Gründe aufzuzählen, warum es nicht funktionieren würde, und erwiderte stattdessen nur: »Mein Platz ist in England.«
»Aber nachdem ein Großteil von Drews Familie die meiste Zeit in London weilt, werden wir sie oft besuchen. Du wärst herzlich willkommen, uns jedes Mal zu begleiten. Und Richard gibt bestimmt einen wunderbaren Ehemann ab!«
Gabrielles Zuversicht überraschte Julia. »Meinst du? Ich weiß, dass er charmant, unterhaltsam und fürsorglich sein kann. Du hättest ihn mit seinem Neffen sehen sollen! Das war wirklich rührend, deswegen kann ich mir sogar vorstellen, dass er einen guten Vater abgäbe. Er hat mir gezeigt, wie nett er sein kann, aber er und ich leben trotzdem in zwei völlig unterschiedlichen Welten. Nach all den aufregenden Abenteuern, die er seit seinem Weggang von zu Hause erlebt hat, würde er sich in England nicht mehr wohlfühlen, aber genauso wenig möchte ich fort von der Welt, in der ich aufgewachsen bin. Außerdem können wir schon allein deswegen nicht zusammenbleiben, weil sein Vater dann endgültig gewonnen hätte.«
Gabrielle verdrehte die Augen. »Sein Vater hat bereits gewonnen,
aber es war nur ein kleinerer Sieg. Du und Richard, ihr habt nicht wirklich verloren – zumindest noch nicht. Also sorgt dafür, dass dieser Tyrann kein Thema mehr ist, sonst gewinnt er tatsächlich!«
49
S obald die britischen Inseln außer Sichtweite waren, ging Julia hinauf an Deck und hielt nach Richard Ausschau, konnte ihn aber nirgendwo entdecken. Nach Carol hatte ihr nun auch Gabrielle etwas zum Nachdenken geliefert. Sorgt dafür, dass dieser Tyrann kein Thema mehr ist! Er war kein Thema, zumindest nicht für sie. Aber würde Richard das auch jemals so sehen?
Während sie nach ihm Ausschau hielt, kam sie nicht auf die Idee, nach oben zu blicken. Dann aber hörte sie über sich jemanden lachen, und als sie den Kopf hob, sah sie Richard und Ohr. Von einem Mast hängend? Und lachend? Das kam recht unerwartet. Hatte seine Wut sich so schnell verflüchtigt, nur weil er sein Heimatland hinter sich ließ? Oder hatte sie vielleicht gar nicht ihn, sondern Ohr lachen gehört?
Richard half seinem Freund, weitere Segel zu hissen, um den starken Wind auszunutzen. Gabby hatte recht gehabt, als sie Julia riet, ihr Haar für die Dauer der Reise möglichst einfach zu frisieren. Obwohl Richards langes Haar zurückgebunden war, wehte es ihm um die Schultern, und die Frisur, mit der Julia am Morgen an Bord gegangen war, war bei diesem Wind bereits nach wenigen Minuten auseinandergefallen.
Sie konnte den Blick nicht von Richard abwenden. Er war barfuß, wahrscheinlich, um auf dem Mast einen besseren Halt zu haben, aber es war trotzdem gefährlich, so hoch oben herumzuklettern.
Ein kleiner Ausrutscher, und er würde auf das Deck herabstürzen. Dennoch wirkte er dort oben völlig furchtlos, als hätte er das schon so viele Male getan, dass er es mittlerweile sogar mit verbundenen Augen könnte!
Vom langen Hinaufschauen begann sich Julias Nacken zu verkrampfen. Außerdem wurde ihr Haar langsam richtig lästig, weil es ihr immer wieder die
Weitere Kostenlose Bücher