Im Taumel der Herzen - Roman
dass sie ihm wahrscheinlich nicht so sehr geholfen hatte, wie er hoffte. Sie hatte nur an sich selbst gedacht und nicht an seine Umstände, als sie sich vorhin zu dem Kuss bereiterklärt hatte. Sie musste ihn warnen. Das war nur recht und billig.
»Vermutlich hat James sich von diesem Kuss kein bisschen täuschen lassen, denn er kennt mich.«
»Gott, ich hätte Sie fragen sollen, ob Sie verheiratet sind!«
War das das Einzige, was ihm anlässlich ihrer Warnung einfiel?
Sie zog eine Augenbraue hoch. »Dass eine Frau verheiratet ist, scheint Sie nicht abzuschrecken.«
»Ich wünschte, es wäre nicht so, chérie . Es ist sehr schmerzhaft, jemanden zu lieben, den man nicht haben kann.«
Er unterstrich seine Worte mit einem Seufzen, sodass er ihr sofort wieder leidtat. Sie hatte das Gefühl, dass er unter seiner halben Maske sogar rot wurde, auch wenn die untere Hälfte seines Gesichts und sein Hals so gebräunt waren, dass sie es nicht mit Sicherheit sagen konnte.
Für den Fall, dass sie recht hatte, räumte sie ein: »Zufällig bin ich nicht verheiratet.«
»Aber bestimmt haben Sie Verehrer.«
»Nein, ehrlich gesagt …«
»Jetzt haben Sie einen.«
Sie musste wider Willen lachen. Dieser Mann flirtete tatsächlich mit ihr? Seit sie achtzehn gewesen war, hatte sie ein paarmal erlebt, wie Männer mit ihr zu flirten versuchten, allerdings nicht auf diese harmlose Weise, bei der klar war, dass der Mann es nicht ernst meinte. Nein, sie war ein paar Männern von eher zweifelhafter Moral begegnet, die von ihrer unbefriedigenden Situation in puncto Heiraten wussten und daher versuchten, sie zu heimlichen Affären zu verführen. Wie sie zu ihrer Schande gestehen musste, hatte sie tatsächlich mit dem Gedanken gespielt, sich auf so etwas einzulassen. Doch das war gewesen, bevor sie auf eine Möglichkeit stieß, ihrer schrecklichen Situation ein Ende zu setzen. Außerdem, so groß war die Versuchung nun auch wieder nicht gewesen.
Jean Paul aber konnte durchaus charmant sein, wenn er nicht gerade wegen seines gebrochenen Herzens seufzte, sodass sie sich für einen Moment auf seinen Ton einließ und kokett antwortete: »Muss ich Sie daran erinnern, dass Sie in eine andere verliebt sind?«
Er strich ihr mit dem Handrücken über die Wange. »Vielleicht
bringen Sie mich ja dazu, nicht mehr an sie zu denken? Möchten Sie es nicht wenigstens versuchen?«
Eine andere Frau aus seinem Herzen zu verdrängen, klang für Julia ein wenig fragwürdig. Andererseits war diese Frau nicht die seine, sondern bereits anderweitig verheiratet. Vollbrachte sie in diesem Fall nicht sogar eine gute Tat, wenn sie dazu beitrug, sein gebrochenes Herz zu heilen?
Abrupt riss sie sich am Riemen. Was zum Teufel fiel ihr ein? Zog sie diese Möglichkeit tatsächlich in Betracht, nur weil er plötzlich klang, als meinte er es ernst? Wobei es durchaus verlockend war , das konnte sie nicht leugnen. Andererseits hatte sie kein wirkliches Interesse daran, die Bekanntschaft mit jemandem zu vertiefen, der allem Anschein nach nicht lange in England bleiben würde. Dadurch brächte sie sich höchstens in die gleiche Situation, in der er gerade steckte: Auch sie würde sich dann nach jemandem verzehren, den sie nicht haben konnte.
Bevor sie Zeit hatte, es sich anders zu überlegen, verkündete sie: »Ich muss zurück zu meinen Freunden, und Sie sollten auf der Stelle den Ball verlassen, sonst waren unsere Bemühungen, Sie aus dem Bann von James’ mörderischem Blick zu befreien, völlig vergebens.«
»Ein vernünftiger Ratschlag, chérie . Adieu, bis zum nächsten …« Sie wollte den Rest seiner Abschiedsworte nicht hören und bahnte sich rasch einen Weg durch die Menge. Ehe sie Carol erreichte, sah sie sich ein letztes Mal verstohlen nach James Malory um und stellte fest, dass seine ganze Aufmerksamkeit nun wieder seiner Frau galt. Womöglich hatte ihre List doch funktioniert.
9
W ie enttäuschend, wenn auch keine vollkommene Sackgasse, oder? Julia bekam Carols Worte nicht aus dem Kopf.
Als sie wieder neben ihre Freundin getreten war, hatte Carol gefragt: »Also, wer ist er?«
»Wer?«
»Wer sonst hat so lange deine ungeteilte Aufmerksamkeit genossen?« Als Julia rot wurde, musste Carol kichern. »Das ist so aufregend! Ich komme mir fast vor wie damals, als ich in die Gesellschaft eingeführt wurde und meinerseits anfing, mich nach einem Ehemann umzusehen – und nun tust du es endlich auch!«
»Aber ich habe doch noch gar nicht …«
»Natürlich
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