Im Taumel der Herzen - Roman
inzwischen so viel Zeit vergangen ist, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Richard bald zurückkommt. Bestimmt glaubt er, das Mädchen wäre längst verheiratet und somit kein Problem mehr.«
»Verlass dich nicht darauf, Vater! Du warst das Problem. Wenn er nicht nach Hause kommt, dann deinetwegen!«
Plötzlich runzelte Milton die Stirn. Charles nahm an, dass es an seinem lauten Ton lag, bis Milton ihn fragte: »Weißt du etwas, das ich nicht weiß? Hast du ihn gesehen, Charles?«
»Nein – natürlich nicht! Ich … ich muss zurzeit nur öfter an ihn denken – seit ich das Miller-Mädchen gesehen habe.«
Charles’ Wangen waren knallrot angelaufen. Rasch wandte er sich ab, damit Milton es nicht bemerkte, und flüchtete nach oben.
Milton ging zur Tür und blickte seinem davonstürmenden Sohn hinterher. Noch immer runzelte er die Stirn. Er kannte Charles. Er wusste, dass sein Sohn gelogen hatte. Allerdings konnte er kaum glauben, was sein Instinkt ihm sagte. Falls Richard tatsächlich wieder in England wäre, würde er dann nicht herkommen und damit prahlen, dass er inzwischen sein
eigener Herr war und sich von Milton nichts mehr sagen ließ? Bestimmt würde er das.
Milton schüttelte sein seltsames Gefühl ab. Er war es nur nicht gewöhnt, seinen folgsamen Sohn derart aufgewühlt zu sehen, außer, es ging um Mathew. Wenn überhaupt, dann hatte Charles wahrscheinlich wegen des Miller-Mädchens gelogen. Womöglich war sie mit der Bitte an ihn herangetreten, auf Milton einzuwirken, damit er den Vertrag herausgab – weil sie genau wusste, dass sie selbst damit kein Glück haben würde. Eigentlich sollte das dumme Mädchen doch froh sein, dass er immer noch an ihrer Verbindung festhielt. Bestimmt hatte sie mittlerweile begriffen, wie viele Türen man ihr ansonsten vor der Nase zuschlagen würde.
Obwohl ihn die Erklärung, die er für Charles’ Verhalten gefunden hatte, selbst nicht recht befriedigte, war er bereits im Begriff, in sein Arbeitszimmer zurückzukehren, hielt jedoch mitten in der Bewegung inne, als er Olaf den Gang entlangkommen sah – damit beschäftigt, sich ein großes Stück Gebäck in den Mund zu stopfen.
Er hätte sich von diesem Bediensteten längst trennen sollen, denn im Grunde hatte er für solch rohe Gewalt keine Verwendung mehr, und als Lakai machte ein Mann dieses Kalibers eine ziemlich lächerliche Figur. Von den drei Schlägern, die er vor all den Jahren angeheuert hatte, nachdem Richard seiner Gerte entwachsen war, stand mittlerweile nur noch Olaf in seinem Dienst. Wobei es wohl von Anfang an ein Fehler gewesen war, die Männer mit Richards Bestrafungen zu betrauen, weil der Junge dadurch nur noch widerspenstiger geworden war.
Womöglich aber wurde Olafs rohe Gewalt nun doch noch einmal benötigt.
Nachdem er Olaf seine Befehle erteilt hatte, schickte Milton einen Boten zu Abel Cantel, dem für die Gegend zuständigen
Richter, und lud ihn zum Abendessen ein. Seine letzte Einladung dieser Art lag fast schon ein halbes Jahr zurück. Obwohl er den Kerl nicht besonders mochte, hatte er vorausblickend geplant und sich bald nach Richards Verschwinden mit Abel angefreundet. Dabei war er sogar so weit gegangen, Abel hin und wieder den Betrunkenen vorzuspielen und bei diesen Gelegenheiten über Richards Vergehen in Kenntnis zu setzen. Abel hatte Milton mehr als einmal versprochen, Richard ins Gefängnis werfen, falls er je zurückkäme. Der Graf brauche nur ein Wort zu sagen, und schon säße sein missratener Sohn hinter Gittern. Mittlerweile aber wusste Milton, dass Abel einen Bruder hatte, der ihm unter Umständen noch nützlicher sein konnte. Für welche Vorgehensweise Milton sich letztendlich auch entscheiden mochte – auf jeden Fall bot Abel ihm für den Tag von Richards Rückkehr mehrere Möglichkeiten, und Milton schätzte es, mehrere Möglichkeiten zur Verfügung zu haben.
22
D as Abendessen war längst vorüber. Charles und Mathew hatten sich gleich danach zurückgezogen, weil sie am nächsten Morgen früh aufbrechen wollten. Milton hatte Abel auf ein Glas Weinbrand in sein Arbeitszimmer gebeten, doch langsam fiel ihm kein Vorwand mehr ein, um den Mann noch länger aufzuhalten.
Milton hatte Olaf befohlen, in den drei Gasthäusern, die Willow Woods am nächsten lagen, mit der Suche nach Richard zu beginnen, und sich dann nach London vorzuarbeiten. Manchester lag zu weit in die andere Richtung, sodass sie dort wenigstens nicht zu suchen brauchten. Falls Richard tatsächlich in
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