Im Taumel der Herzen - Roman
vor einiger Zeit mal dem Miller-Mädchen über den Weg gelaufen. « Auch das war nicht gelogen. »Einige Zeit« konnte man
durchaus auf zwei Jahre ausweiten. »Wann hast du eigentlich vor, das arme Mädchen aus dem Heiratsvertrag zu entlassen? Sie ist mittlerweile doch längst im heiratsfähigen Alter, oder nicht?«
Milton ließ die Feder sinken und musterte Charles eindringlich. »Was spielt das für eine Rolle? Sobald Richard zur Vernunft kommt, werden die beiden verheiratet.«
Charles’ Miene verdüsterte sich. »Ist dir überhaupt bewusst, wie viele Jahre vergangen sind, seit er uns verlassen hat?«
»Natürlich weiß ich das, sogar auf den verdammten Tag genau! «, erwiderte Milton, der allmählich wütend wurde.
Es handelte sich definitiv um ein heikles Thema. Seit Richards Verschwinden hatte Charles es noch nie geschafft, ihrem Vater gegenüber Richards Namen zu erwähnen, ohne den alten Herrn dadurch in Rage zu versetzen. Ausnahmsweise aber war er fest entschlossen, einfach nicht darauf zu achten, wie unbehaglich er sich angesichts dieser Wut fühlte.
»Er ist kein Kind mehr, Vater. Nachdem er bis jetzt nicht zurückgekommen ist, wird er es auch in Zukunft nicht tun. Finde dich endlich damit ab, und lass das arme Mädchen ihr Leben weiterleben! So, wie die Dinge stehen, ist der Vertrag völlig nutzlos.«
»Er ist keineswegs nutzlos, das ist ja das Schöne daran. Die Millers haben bereits ihre Mitgift und mehr geboten, um aus dem Vertrag herauszukommen. Vielleicht muss ich ihr Angebot in fünf oder zehn Jahren annehmen, aber vorerst noch nicht.«
»Womöglich wird ihr das ewige Warten irgendwann zu dumm, und sie heiratet einfach einen anderen, Vertrag hin oder her.«
Nun lachte Milton doch tatsächlich. »Das wird sie nicht tun. Wäre diese Möglichkeit für sie gangbar, hätte ihr Vater den Vertrag längst öffentlich für nichtig erklären lassen – lange bevor
er durch den Unfall außer Gefecht gesetzt wurde. In der Welt des Handels, also der Welt der Millers , bedeutet ein Vertrag alles. Es ist eine Frage der Ehre, denn sie haben uns ihr Wort gegeben. Man könnte sogar sagen, dass ihr Ruf auf dem Spiel steht. Der Bruch eines Vertrages, über den alle Welt Bescheid weiß, könnte die Familie ruinieren.«
»Glaubst du wirklich, das spielt noch eine Rolle, nachdem du das Leben des Mädchens ohnehin schon ruinierst?«
»Ich tue nichts dergleichen. Sie hat doch bereits die Vorteile eingestrichen, die eine Verbindung mit unserem Namen mit sich bringt, wohingegen ich noch gar nichts eingestrichen habe. Du weißt genau, dass die vornehme Gesellschaft sie als eine der ihren anerkannt hat – weil sie durch den Vertrag mit uns verbunden ist. Außerdem sind manche Kinder tatsächlich pflichtbewusst und respektieren die Verbindlichkeiten, die ihre Eltern für sie eingehen.«
Charles hatte das durchaus getan. Er hatte eine übellaunige Frau geheiratet, die er nicht ausstehen konnte – aber nicht, weil er seinen Vater respektierte. Milton Allen strahlte nichts aus, was einem Kind Respekt, Liebe oder auch nur Pflichtgefühl eingeflößt hätte. Nein, Charles hatte damals getan, was von ihm erwartet wurde, weil er im zarten Knabenalter nichts mehr fürchtete als diesen Mann, der nun so mürrisch vor ihm saß.
»Keiner von beiden wollte diese Verbindung. Oder hast du vergessen, wie sehr sie sich verabscheuten?«
Milton schnaubte. »Damals waren sie doch noch Kinder! Wenn Richard sie jetzt sehen könnte, würde er seine Meinung sofort ändern. Wer hätte gedacht, dass sie mal so hübsch werden würde?« Milton musste plötzlich lachen. »Im Grunde ist die zusätzliche Wartezeit nur von Vorteil, denn wenn er dann tatsächlich nach Hause kommt, wird sie derart darauf brennen, endlich einen Mann zu bekommen, dass sie im Laufschritt
zum Altar eilen wird. Alte Jungfern sind so, glaub mir!«
Charles war angewidert von Miltons Herzlosigkeit und der Art, wie er sich über Julia Millers Notlage lustig machte. Im Grunde war es Milton völlig egal, wen er verletzte, solange das Geld, das er zu kassieren hoffte, am Ende seine Taschen füllte. Richard hatte Julia gesehen – und wollte sie trotzdem noch immer nicht zur Frau. Auch wenn das bedauerlicherweise viel mehr mit dem Grafen zu tun hatte als mit dem Mädchen.
Steif entgegnete Charles: »Dazu müsste er erst einmal zurückkommen. Ich habe die Hoffnung schon vor Jahren aufgegeben. Warum kannst du das nicht auch?«
»Unsinn!«, knurrte Milton spöttisch. »Nachdem
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