Im Taumel der Herzen - Roman
Kenntnis gelangt, dass Sie einen unschuldigen Mann transportieren. Sie sollen ihn unverzüglich an mich übergeben.«
Kapitän Cantel antwortete nicht sofort. Er las immer noch. Dann starrte er James mit weit aufgerissenen Augen an. »Einer der Gefangenen soll ein Lord sein? Fehler dieser Größenordnung passieren nicht, Lord Malory. In meinem Frachtraum befindet sich kein Mann dieses Namens.«
»Ich hätte Sie nicht für so dumm gehalten«, entgegnete James trocken. »Aber da ich davon ausgehe, dass Sie sich über die Folgen Ihrer Beteiligung an dieser Intrige bereits voll und ganz im Klaren sind, kann ich es Ihnen andererseits auch nicht verdenken, dass Sie versuchen, alles abzustreiten.«
Das Gesicht von Kapitän Cantel lief rot an. »Glauben Sie mir, ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen! Ich kann Ihnen meine Unterlagen zeigen. Jeder einzelne Gefangene ist aufgelistet und ausgewiesen.« Dann bellte er zu dem Besatzungsmitglied, das sie begleitet hatte, einen Befehl hinüber: »Los, geh und zähle die Männer!«
»Hiergeblieben!«, widerrief James den Befehl. Sein Ton ließ den Seemann mitten in der Bewegung erstarren.
»Also, hören Sie …«, protestierte Cantel.
»Sie glauben doch wohl nicht, dass ich Ihnen Gelegenheit gebe, den Mann verschwinden zu lassen?«
»Beleidigen Sie mich nicht noch mehr, als Sie es ohnehin schon getan haben, Lord Malory!«
»Oder?«
Drew stöhnte innerlich auf. James sollte seinen Einfluss geltend machen, nicht seine Muskeln spielen lassen. Wobei Drew zugeben musste, dass James wesentlich mehr Übung in Letzterem hatte.
Der Mann kam gar nicht dazu, zu antworten, denn James fügte sofort hinzu: »Sie erwägen doch nicht allen Ernstes, sich
mir zu widersetzen?« Ohne jede Vorwarnung packte er den neben ihm stehenden Seemann am Kragen, hob ihn hoch und rammte ihm eine seiner fleischigen Pranken ins Gesicht. Anschließend ließ er den besinnungslos geschlagenen Kerl langsam zu Boden gleiten, sah wieder den Kapitän an und raunte ihm mit eindeutig drohendem Unterton zu: »Ich würde es Ihnen nicht raten!«
»Das ist unerhört!«, protestierte der Kapitän, allerdings ohne großen Nachdruck.
»Da bin ich ganz Ihrer Meinung. Ein Lord des Königreichs darf nicht auf diese Weise behandelt werden, egal, welches Verbrechen er begangen hat. Dessen sind Sie sich doch bewusst, oder?«
»Selbstverständlich.«
»Sehr gut. Obwohl mein gesunder Menschenverstand mir etwas anderes sagt, heißt es ja immer, im Zweifelsfall für den Angeklagten. Nehmen wir also einmal an, dass Sie tatsächlich nichts davon wussten. Es könnte ja immerhin sein, dass der Sohn des Grafen Ihnen unter einem falschen Namen übergeben wurde und zu jenem Zeitpunkt womöglich ohne Bewusstsein und somit auch nicht in der Lage war, dieser unerhörten Sache ein Ende zu setzen, ehe das Verhängnis weiter seinen Lauf nahm. Obwohl«, fügte James nachdenklich hinzu, »es viel wahrscheinlicher ist, dass er seinen richtigen Namen so laut hinausgeschrien hat, dass man ihn eigentlich noch in London hätte hören müssen.«
»Die Wachen hätten ihm bestimmt nicht geglaubt«, gab Cantel rasch zu bedenken. Nachdem er allmählich begriff, dass ihm wohl nichts anderes übrig blieb, als den Gefangenen herauszugeben, tendierte er zu James’ letzter Version der Geschehnisse, unternahm aber einen weiteren törichten Versuch, die Herausgabe zu vermeiden, indem er fortfuhr: »Ich werde auf der Stelle die Wachen befragen lassen. Bestimmt wird sich
herausstellen, dass jemand falsch informiert wurde, was den Aufenthaltsort von Lord Allen betrifft.«
»Sie wollen noch mehr von meiner Zeit verschwenden? Wohl kaum! Im Grunde haben Sie drei Möglichkeiten: Sie können Lord Allen jetzt an mich übergeben und nach Ihrer Heimkehr versuchen, Ihr Kapitänspatent zu retten, indem Sie sich irgendwie herausreden. Zwar ist es äußerst fraglich, ob Ihnen das gelingen wird, doch ich bin sicher, dass Sie diese Variante immer noch besser finden, als in Ihrem nächsten Hafen festgenommen zu werden.«
»Darüber haben Sie nicht zu bestimmen!«
»Sie zweifeln an meinem Einfluss? Vielleicht haben Sie noch nicht von meiner Familie gehört?« Dann fügte James in pikiertem Ton hinzu: »Gütiger Gott, muss ich tatsächlich ein paar berühmte Namen aufzählen?«
Drew hätte beinahe losgeprustet. Doch falls James mit seiner letzten Bemerkung beabsichtigt hatte, die Situation ein wenig zu entschärfen, war ihm das gelungen.
»Nicht nötig«, erwiderte der
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