Im Taumel der Herzen - Roman
als einer Woche eingesperrt ist, kann er bestimmt an nichts anderes denken. Er ist so penibel, was sein Äußeres betrifft. Er kann sich durchaus in Lumpen kleiden, aber es müssen saubere Lumpen sein! Ich fand das immer ein wenig seltsam, aber da hatte ich natürlich noch keine Ahnung,
dass er ein Lord ist. Das macht es irgendwie verständlicher. Adlige werden offenbar dazu erzogen, sich stets von ihrer besten Seite zu zeigen.«
Julia wurde allmählich klar, wie wenig sie über den Mann wusste, mit dem sie schon zeit ihres Lebens verlobt war. Aber was Gabrielles letzte Bemerkung betraf, musste sie ihr recht geben. Sie konnte sich nicht erinnern, Richard jemals anders als ordentlich gekleidet und sauber gesehen zu haben. War es ein weiteres Gesetz des Grafen, dass seine Söhne sich nicht schmutzig machen durften?
Mittlerweile waren sie fast schon auf einer Höhe mit dem anderen Schiff. Julia hatte das gar nicht mitbekommen, weil sie so in ihr Gespräch vertieft gewesen waren. Ein starkes Gefühl von Nervosität ergriff schlagartig von ihr Besitz.
»Ich bin froh, dass ihr so zuversichtlich seid, was den Ausgang unseres Unterfangens betrifft«, sagte sie zu dem Paar.
»Keine Sorge!«, beruhigte Drew sie. »Mir ist noch nie ein Mensch untergekommen, der sich besser darauf versteht, anderen Leuten die Daumenschrauben anzulegen, als James Malory. «
28
E he James auf das Transportschiff übersetzte, rief er Drew zu sich. James hatte sich dem Anlass entsprechend herausgeputzt. Er machte sich nicht oft die Mühe, so vornehm auszusehen, doch an diesem Tag tat er es. Zwar war seine weiße Krawatte nicht übermäßig groß, aber seine goldbraune Jacke hatte einen exzellenten Schnitt, seine Stiefel glänzten, und seine Weste war aus feinster Seide.
»Du kommst mit mir!«, erklärte James. »Sollte der Kapitän seine Beteiligung an der Intrige leugnen, dann muss jemand, der Richard kennt, hinunter in den Frachtraum, um ihn zu identifizieren.«
»Woraus ich schließe, dass du diese Aufgabe lieber nicht übernehmen willst.«
»Hier geht es nicht ums Wollen, Yank. Nachdem ich dem Kapitän klargemacht habe, wie verdammt hochwohlgeboren und mächtig ich bin, wird er es plausibler finden, wenn ich mich weigere, seinen Frachtraum zu betreten, und diese lästige Pflicht stattdessen an Richards Diener delegiere. Denk an den Gestank. Dort unten riecht es bestimmt schon recht streng.«
Drew verbiss sich ein Lachen. »Demnach soll also ich die Rolle des Dieners spielen, der es sich nicht leisten kann, so penibel zu sein?«
»Genau, aber halte ja den Mund, sonst merkt er, wo du herkommst! «
»Jetzt hör aber auf!«, meinte Drew grinsend. »Amerikaner geben genauso gute Diener ab wie Engländer.«
»Das mag ja sein, aber einem englischen Lord käme nicht einmal über seine Leiche ein amerikanischer Diener ins Haus!«
Derartige Sticheleien waren für Drew nichts Neues. James machte es viel zu großen Spaß, die Amerikaner als Barbaren zu bezeichnen. Niemals hätte er zugegeben, dass dem gar nicht so war. Drew hatte sich im Lauf der Jahre angewöhnt, die Attacken seines Schwagers einfach zu ignorieren. Zumindest meistens.
Der Kapitän begrüßte sie nicht an Deck, sondern ließ sie zu sich in die Kabine führen. Offensichtlich wollte er durch diese Taktik seine Überlegenheit demonstrieren, was sich jedoch als völlig wirkungslos erwies, sobald James sich vorstellte.
»James Malory, Viscount Ryding. Wie freundlich von Ihnen, uns zu empfangen, Kapitän …?«
»Cantel«, antwortete der Mann, während er hinter seinem Schreibtisch aufsprang.
»Kapitän Cantel.« James neigte zur Begrüßung leicht sein Haupt. Drew konnte nicht umhin, die Taktik von James zu bewundern. Vor dem Übersetzen hatte Drew zu dem anderen Schiff hinübergerufen, es handle sich um eine dringende Angelegenheit, woraufhin man drüben die Segel eingeholt und alles vorbereitet hatte, um den Besuch an Bord zu nehmen. Soeben aber hatte James mit seiner freundlichen Begrüßung dafür gesorgt, dass der Kapitän mit nichts Schlimmem rechnete. Und somit auf die bevorstehende Breitseite nicht vorbereitet war …
Die erste Salve bestand aus den offiziellen Dokumenten, die James nun aus seiner Brusttasche zog und auf den Schreibtisch warf. Der Kapitän sah ihn einen Moment fragend an, ehe er nach den Unterlagen griff und stirnrunzelnd die erste Seite überflog. James wartete nicht, bis er zu Ende gelesen hatte.
»Wie Sie daraus entnehmen können, ist uns zur
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