Im Taxi - unterwegs in Kairo
hatte gedacht, es wäre einfach, ein Taxi zu finden.
Endlich hielt eines. Der Fahrer musterte mich eingehend, dann sagte er, ich solle einsteigen.
»Was ist los?«, fragte ich ihn. »Ich habe eine halbe Stunde gewartet, und kein Taxifahrer wollte halten.«
»Keiner wird für Sie anhalten«, antwortete er.
»Warum denn bloss?«
»Es ist spät, und Sie wollen an einen abgelegenen Ort. Die 6.-Oktober-City ist zurzeit besonders schwierig.«
»Warum? Was ist denn passiert?«
»Auf der Strecke ist einiges vorgefallen.«
»Mein Gott, was denn?«
»Es gibt Kunden, die in die 6.-Oktober-City wollen, und unterwegs, in einer einsamen Gegend, ziehen sie dann ein Messer, stehlen dem Fahrer das Geld, schmeissen ihn raus und klauen das Auto. Letztens hat einer Widerstand geleistet, da haben sie auf ihn eingestochen.«
»Haben sie ihn getötet?«
»Nein, er ist nicht tot, aber sie haben ihm rundzwanzig Stiche am ganzen Körper versetzt. Er ist dem Tod noch mal von der Schippe gesprungen. Das Schlimme war, dass er das Auto gerade gekauft hatte und es noch nicht versichert war. Und diese Hurensöhne haben es geklaut! Vermutlich zerlegen sie es und verkaufen es Stück für Stück als Ersatzteile.«
»Woher wissen Sie das alles? Stand das in der Zeitung?«
»Nein, ich lese keine Zeitung. Ich habe kaum zu essen, wie soll ich da eine Zeitung kaufen? Ich bin aus Imbâba 41 , und als ich neulich im Café war, hatten ein paar Fahrer Zettel dabei, auf denen diese Ãberfälle beschrieben waren, und verteilten sie an die andern Fahrer. Mir drückten sie auch ein paar Kopien in die Hand, damit ich sie an Kollegen weitergebe. Deshalb habe ich Sie so genau angeschaut, bevor ich Sie einsteigen liess. Ich bringe Sie hin und fahre dann direkt nach Hause. Seitdem ich von dieser Sache gehört habe, bin ich nach zehn nicht mehr gern draussen. Unser Land ist unsicher geworden. Spätestens um zehn fahre ich nach Hause und bleibe bei meiner Frau und meinen Kindern. Sobald Sie ausgestiegen sind, verriegle ich die Türen und fahre schnurstracks nach Imbâba. Gott behüte uns.«
Die Geschichte machte mir Angst, aber es gefiel mir, dass die Fahrer zusammenhielten und Flugblätter verteilten.
Ich stieg bei der Media Production City aus, und zum ersten Mal ertappte ich mich dabei, wie ich mich vorsichtig nach allen Seiten umsah.
27
Ich setzte meine vierzehnjährige Tochter Majj in ein Taxi, das sie von Agûsa zum Gasîra-Klub bringen sollte. Das ist nah, und die Fahrt dauert im Normalfall nicht länger als zwei Minuten. Zum ersten Mal in ihrem Leben sollte Majj das Abenteuer 42 wagen und allein in den Klub gehen. Ich hatte sie dazu ermutigt, denn sie ist im Leichtathletikteam und läuft 100 Meter, 200 Meter und die 4-mal-100-Meter-Staffel. Sie muss deshalb jeden Tag zum Training in den Klub gehen.
Am Tag zuvor hatten wir zusammengesessen. Ich hatte auf sie eingeredet und ihr geraten, ihr Leben von jetzt an in die eigenen Hände zu nehmen, weil ihre starke Bindung an uns nur eine Phase sei, der eine andere folge, in der sie selbständiger werde. Ich sagte, sie werde an Selbstvertrauen gewinnen und brauche keine Angst zu haben, allein in ein Taxi zu steigen. Ãgypter seien die nettesten Menschen auf der Welt, und wenn der Fahrer sehe, dass sie noch jung sei, würde er sie wie ein Vater behandeln.
Meine Tochter nahm am nächsten Tag tatsächlich allein ein Taxi. Der Fahrer war Mitte vierzig. Kaum waren sie auf die Brücke des 6. Oktober gefahren, begann er ihr anzügliche Fragen zu stellen: »Sag mal, schaust du dir Pornofilme auf Französisch oder auf Englisch an?«
Majj überlegte, was sie sagen sollte. Da sie keine passende Antwort fand, schwieg sie.
»Hab keine Angst vor mir. Jetzt mal im Ernst: In welcher Sprache siehst du dir Pornos an? Hörst du das Gestöhne lieber auf Englisch oder auf Französisch?«
Das arme Mädchen war völlig schockiert. Ich weiss nicht, was in diesen entsetzlichen Augenblicken in ihrem Kopf vor sich ging. Als sie ankam, warf sie das Geld einfach auf den Sitz und rannte fort.
Als meine Tochter mir das erzählte, musste ich an die Szene in dem wundervollen Film Akira Kurosawas Träume denken, als die Mutter ihrem Sohn die Haustür vor der Nase zuschlägt und ihm einen Dolch gibt, um der Gesellschaft die Stirn zu bieten. Kurosawa hat die Szene, wie der Bub
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