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Im Taxi - unterwegs in Kairo

Im Taxi - unterwegs in Kairo

Titel: Im Taxi - unterwegs in Kairo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chalid al-Chamissi
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Kundschaft.«

29
    Ausbildung und Nachhilfestunden haben bei den Ägyptern oberste Priorität. Nichts ist wichtiger, abgesehen vom Broterwerb. Das Denken der meisten Leute kreist um diese beiden Themen, weil die ägyptische Gesellschaft sehr familienorientiert ist und Kinder die ägyptische Familie zwar mit Lärm, aber auch mit Liebe, Hoffnung und Sorge um Ausbildung und Nachhilfestunden 44 erfüllen.
    Es ist der Lauf der Dinge, dass sich jeder Ägypter abrackert, um etwas Geld zu verdienen, das er dann den Privatlehrern gibt. Nachhilfestunden sind wie Markenartikel: Es gibt sie in allen Preisklassen, für jede Gesellschaftsschicht. Mathematikstunden können beispielsweise zehn, aber auch hundert Pfund kosten. Wenn auch zehn Pfund zu viel sind, gibt es Wiederholungsstunden an der Schule, Gruppenunterricht und Studienzentren – Nachhilfebusiness jeder Art.
    Bei jedem Taxifahrer, der Kinder im schulpflichtigen Alter hat, genügt es, den »Bildungsknopf« zu drücken, damit er wie eine Rakete losgeht, die niemand stoppen kann, nicht einmal Ingenieure der NASA.
    An jenem Tag im September 2005 hatte ich gerade die Schulgebühren für meine drei Kinder bezahlt, war noch ganz gereizt und fing deshalb gleich davonan, sobald ich mich ins Taxi gesetzt hatte. Der Fahrer sprang sofort darauf an: »Mit meinen Kindern kriege ich bestimmt mal einen Herzinfarkt. Mein einziger Sohn ist in der sechsten Klasse und kann noch nicht mal seinen Namen schreiben. Aber jedes Jahr lassen sie ihn bei den Prüfungen mogeln, damit er versetzt werden kann. Sonst würde die Schule nämlich Probleme kriegen und vom Ministerium untersucht werden.
    Ich habe auch zwei Töchter, die sind auf der Sekundarschule. Zum Glück sind die tüchtig. Aber ihre Nachhilfestunden kosten mich ein Heidengeld. Für jede bezahle ich hundertzwanzig Pfund im Monat. Stellen Sie sich vor, jede bekommt Nachhilfe in drei Fächern, und jedes Fach kostet vierzig Pfund im Monat. Das ist unser Ruin! Was steht mir da wohl erst mit meinem Sohn Albert bevor, wenn er älter ist? Wie viel werde ich für seine Nachhilfestunden bezahlen müssen, so dämlich, wie er ist?
    Wissen Sie, was wir machen? Evelyn, meine ältere Tochter, gibt ihm Nachhilfeunterricht. Dafür bekommt sie von mir Geld und bezahlt damit ihre eigenen Stunden. Schliesslich muss ich ihr beibringen, selbst Geld zu verdienen. Aber wie’s aussieht, hat sie gar keine Ahnung, wie sie ihm was beibringen kann. Sie nimmt bloss mein Geld.«
    Â»Und was ist mit der Schule?«, fragte ich.
    Â»Welche Schule? Ich habe Ihnen doch erklärt, dass der noch nicht mal seinen Namen schreiben kann. Das nennen Sie Schule? Da sieht man, was die kostenloseAusbildung taugt. Es ist eine Schande! Wenn Sie heutzutage nichts bezahlen, bekommen Sie auch nichts. Dabei bezahlen wir ja sowieso. In der Grundschule bezahlen wir für die Bücher vierzig Pfund, in den höheren Schulen dann achtzig und hundert Pfund. Wenn man nicht bezahlt, gibt’s auch keine Bücher.
    â€ºAusbildung für alle‹ war ein schöner Traum, aber der ist ausgeträumt. Auf dem Papier ist die Ausbildung wie Wasser und Luft: notwendig für jeden. Aber in Wirklichkeit lernen nur die Kinder reicher Leute etwas und verdienen später gutes Geld, während die Armen nichts lernen, keine Jobs kriegen und nichts verdienen. Sie hängen herum, ich kann sie Ihnen zeigen, die finden keinen Job, nichts, ausgenommen die Genies natürlich. Und unser Albert ist bestimmt keins.
    Aber ich versuche mein Bestes. Ich bleche für die Nachhilfestunden wie ein Irrer. Was soll ich machen? Ich sage mir, vielleicht hilft Gott ja ein bisschen nach, und Albert wird ein zweiter Achmad Siwail 45 . Wer weiss?«

30
    Ich bin ein entschiedener Gegner der Rechte am geistigen Eigentum, weil ich sehe, dass die Kluft zwischen der entwickelten und unserer unterentwickelten Welt mit jedem Tag, ja mit jedem Augenblick grösser wird. Deshalb glaube ich, dass dem Volk, zu dem ich gehöre, Zugang zur Kultur und zur Medizin gewährt werden muss, damit man gegen die beiden grossen Übel – Unwissenheit und Krankheit – angehen kann, die seit Jahrhunderten in unserer Gesellschaft wüten. Das wird natürlich nicht passieren, solange die Rechte am geistigen Eigentum geschützt werden, durch die Medikamente nur für Reiche erschwinglich sind und die aus Kultur ein Luxusgut machen, das

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