Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
Vom Netzwerk:
vor zwölf Stunden oder mehr. Und jetzt erst erfaßte er auch den Sinn der Worte, die Stephen wieder und wieder zu ihm heraufschrie:
    »Den Arzneikasten, aus meinem Seesack! Macht schon, ihr stinkenden Affen - Paul stirbt!«
    »Paul - o mein Gott, er darf nicht...« Seine eigene Stimme kam ihm fremd vor, fauchend und rauh. »Sie haben mich gefesselt, Stephen, ich kann nicht...«
    »Nein, du kannst nicht und wirst niemals können!« donnerte Stephen zurück. »Da rufen dich die Affen zum Gesandten ihrer stinkenden Götter aus, und du bist zu blöd, auch nur für drei Penny Kapital draus zu schlagen! Gefesselt, zum Donner!« brüllte er aus der Tiefe he raus. »Hast wieder alles verpatzt und vermasselt, wie dein ganzes Leben, ja?«
    Robert hätte sich am liebsten die Ohren zugehalten, aber seine Arme waren an das Gitter geschnürt. So mußte er ohnmächtig die Beschimpfungen mitanhören, die Stephen zu ihm heraufspie. Er knirschte mit den Zähnen, und fast ohne es zu bemerken, begann er an seinen Fesseln zu zerren, immer heftiger, im Takt der Flüche, die der rasende Kumpan in seinem Erdloch ausstieß.
    »Sollen sie uns meinethalben den Jaguaren zum Fraß vorwerfen!« brüllte Stephen. »Aber dann uns alle zusammen und dich, Robert, zuerst! Verfluchter Lump, hast dich immer für was Besseres gehalten, vom ersten Tag an, als Paul und ich dich aufgegabelt haben.« Er holte keuchend Atem, und Robert glaubte zu hören, wie Paul le ise stöhnte, so gepreßt, als ob er furchtbare Schmerzen litte. »Dabei bist du feige wie ein altes Weib!« schimpfte Stephen weiter. »Hast ständig von Ruinen und Schätzen schwadroniert, aber hättest dich ohne uns nie getraut, Youngboys Theke gegen die Wildnis zu vertauschen. Und jetzt, wo es einmal, ein einziges Mal, auf dich ankäme, wo es um Japsen oder Verrecken, um das nackte Leben meines Freundes Paul geht jetzt machst du wieder schlapp und läßt uns im Stich!«
    Er heulte es aus sich heraus, und Robert zerrte an seinen Fesseln, fester und fester, doch die Riemen schnitten sich nur immer tiefer in sein Fleisch. Stephen hat ja recht, dachte er, mit einem Mal von Schuldgefühl überflutet, ein Versager bin ich, feige, dünkelhaft, seit jeher schon. Er kniff die Augen zusammen und zerrte an seinen Fesseln, und Stephen schrie und schrie, und für einen schrecklichen Moment war es Robert, als hockte dort unten sein Vater im Erdloch, Verfluchungen seines eigenen Sohnes heulend, der über ihm auf dem Gitter lag, in der Haltung des Gekreuzigten, mit Blut übergossen, aber mit fremdem Blut.
    Doch auch dieser Augenblick ging vorüber, und dann spürte Robert, wie seine Besinnung zurückkehrte. Er hörte auf, an den unzerreißbaren Fesseln zu zerren, und zwang sich, nicht länger auf die Verwünschungen zu hören, die Stephen aus sich herausschrie. Statt dessen lauschte er in das Innere des Jaguartempels, doch von dort war kein Laut zu hören. Dabei mußte Stephens Geschrei auch die Priester und den Chilam Balam längst aus dem Schlaf geweckt haben, dachte Robert, den auf einmal eine rätselhafte Ruhe überkam. Alles wird gut, dachte er und war selbst erstaunt über diesen Gedanken, aber zugleich empfand er, daß es weit mehr als ein Gedanke war, es war Gewißheit, die ihn durchströmte.
    »Sei still, Stephen«, sagte er unter diesem Eindruck, und obwohl er leise gesprochen hatte, verstummte Stephen augenblicklich.
    Für einen Moment kehrt tatsächlich Ruhe ein. Unter ihm holte Stephen keuchend Atem, und wieder vernahm er daneben Pauls furchtbar gepreßtes Stöhnen wie eine dünne zweite Melodie. Von rechts her, den Gang hinaus, meinte er nun auch die Vögel zu hören, die ihr morgendliches Konzert anstimmten, und seltsamerweise bestärkte ihn auch dieses ferne Crescendo in der Gewißheit, daß sich alles zum Guten wenden würde. Zumindest für Paul, dachte er, Paul darf und wird nicht sterben, nicht hier und heute, im Tempel des Aj'uch'.
    »Was ist mit ihm?« fragte er mit einer Gelassenheit, die ihn selbst erstaunte. »Paul war seit Tagen schwach, aber sein Zustand muß sich verschlimmert haben - wodurch?«
    »Verschlimmert, allerdings«, grollte Stephen, doch auch er sprach nun in gedämpftem Ton. »In dem Dorf, wo sie euch übertölpelt und an Pfähle gebunden haben, hat einer der Alten, die dort das Affenkommando hatten, ihm einen Dorn in den Leib gerammt. Der Stachel war offenbar vergiftet, darauf verstehen sich diese verfluchten Zauberaffen. Paul hätte es mir gleich sagen sollen, mit

Weitere Kostenlose Bücher