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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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meinen Arzneien hab' ich uns schließlich schon dutzendfach kuriert. Aber in letzter Zeit...« Er unterbrach sich, und wieder hörte Robert, wie Paul dort unten furchtbar stöhnte. »Na, kurz und gut«, brummte Stephen schließlich, »in letzter Zeit waren wir uns nicht ganz grün, Paul und ich, aber zum Donner, das waren doch nur Kleinigkeiten...«
    Abermals vernahm Robert einen unartikulierten Laut, der sich in Stephens Rede mischte, doch diesmal war es ein helles, empörtes Schnauben. Miriam, dachte er, aber da redete Stephen schon weiter.
    »Jedenfalls«, sagte er, und seine Stimme klang nun schütter vor Besorgtheit, »dort, wo der Zauberaffe ihm den Stachel ins Fleisch getrieben hat, handbreit neben dem Nabel, ist eine Schwellung entstanden, die immer weiter wächst. Du weißt so gut wie ich, Robert, daß Paul für gewöhnlich dürr wie der Knochenmann selber ist. Aber wenn du ihn jetzt sehen würdest, ich schwöre dir, du würdest ihn nicht wiedererkennen. Von der Brust bis runter zum Gürtel ist sein Leib prall wie eine Gewitterwolke, die gleich abregnen wird, und wenn du nur mit der Fingerspitze an seinen Wanst tippst, schreit er vor Schmerzen auf.« Stephen war immer leiser geworden, und Robert glaubte zu hören, daß in seiner Stimme eine Art Grauen mitschwang. »Vorhin«, fuhr er fort, »habe ich Paul mit Schwefelhölzern angeleuchtet. Sein ganzer Rumpf ist unförmig und dunkelgrau, wahrhaftig wie eine Regenwolke, die Haut so gespannt, als ob sie jeden Moment platzen würde. Wenn ich nicht bald zumindest ein Messer in die Pranke kriege, zum Donner noch mal...«
    Wieder unterbrach er sich, und diesmal schwieg er so lange, bis Robert einsah, daß er nicht weitersprechen würde. Auch er selbst sagte kein weiteres Wort mehr, sondern lag einfach auf dem Gatter, mit gespreizten Armen, die sich gänzlich taub anfühlten, wie abgestorbene Äste, und lauschte in die Finsternis, in der nur noch Pauls Stöhnen zu hören war.
    »Paul wird nicht sterben«, sagte er endlich, »ich spüre es, Stephen. Und mich haben sie hier nur angebunden, damit ich nicht weglaufe, aber sie halten mich immer noch für ihren Götterboten.«
    Ein Schauder überlief ihn, noch einmal hörte er, was der Chilam Balam mit pfeifender Stimme ausgerufen hatte:
    »Zusammen mit den Priestern Cha'acs wirst du ein gewaltiges Heer von Mayakriegern aufstellen und an ihrer Spitze in die Schlacht ziehen, von Kantunmak aus, gegen die fahlhäutigen Invasoren. Es wird die gewaltigste Schlacht sein, die jemals geschlagen wurde, und an ihrem Ende, heute in dreiundzwanzig Tagen, wirst du tödlich verwundet werden.« Verrückt, dachte er wieder, und nichts schien ihm abwegiger als diese Vorstellung, daß er, Robert Thompson, eine Armee von Mayakriegern in die Schlacht führen sollte.
     
    »Götterbote!« wiederholte unter ihm Stephen, indem er die Silben hämisch dehnte. »Dann befiehl doch den Affen, zum Teufel und allen Höllen, uns endlich hier rauszulassen! Ich schwör' dir, wenn Paul nicht wieder gesund wird...«
    »Halte lieber den Mund«, fiel ihm Robert ins Wort, »hörst du nicht, sie kommen ja schon!«
    Tatsächlich waren von rechts nun schleichende Schritte zu hören, aus dem dunklen Gang, der von der Lichtung her in den Jaguartempel führte.
    »Eines noch, Stephen, zu deiner Warnung«, fügte Robert rasch hinzu. »Beschimpfe sie nicht, nenne sie nicht Affen, sonst kann ich nichts für dich tun. Sage am besten«, schloß er,
    »überhaupt nichts, laß mich reden, mit Mabos und Ajkechs Hilfe, dann wird alles gut.«
    Er hörte, wie Miriam leise auflachte, und wollte eben noch hinzufügen, daß auch sie am besten schweigen solle. Aber in diesem Moment flackerten mehrere Lichter auf, und ein halbes Dutzend grau gekleideter Maya, Fackeln in den Händen, eilten durch den Gang von der Lichtung her auf sie zu.

2
     
     
    Im Nu hatten sie Robert losgebunden, aufgerichtet und zogen ihn von dem Gatter auf festen Untergrund. Ein stämmiger Alter, mit loderndem Blick unter verstrüppten Brauen, führte das Grüppchen an, die anderen fünf waren Jünglinge von grimmigem Aussehen, doch keiner auch nur zwanzig Jahre alt. Sie alle trugen das Gewand der Priester Cha'acs, nebelgrau mit bestickten Säumen, vom gleichen Aussehen wie die Tunika, die Iltzimin ihm in der Höhle des Regengottes geschenkt hatte. Doch sein Gewand, dachte Robert, mochte irgendwo drinnen im Tempelsaal liegen, neben dem schwarzen Altar des Chilam Balam, jedenfalls war er noch immer nackt bis

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