Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
Vom Netzwerk:
persönlich, in schwarzem Frack, und während er ihr aus der Kutsche half und sie durch den mit Fackeln beleuchteten Park zum White House führte, erging sich der sonst so hölzerne Herr in leichtzüngigen Komplimenten, die gelegentlich die Grenzen des Schicklichen streiften, wenn auch niemals überschritten.
    Helen spürte, daß ihre Wangen gerötet waren, aber sie fühlte sich keineswegs befangen, unter den Blicken der vornehmsten und mächtigsten Persönlichkeiten von Fort George, die ihren Weg säumten und aus allen Fenstern des Audienzsaals zu ihnen hinuntersahen. Im Gegenteil, ganz im Gegenteil: Niemals in ihrem Leben hatte sie sich so wundervoll gefühlt, so ganz und gar in Harmonie mit sich selbst und dieser Welt.
    Aus dem Ballsaal drangen längst wieder die angemessenen, zugleich beschwingten und feierlichen Klänge eines österreichischen Walzers, als der Gouverneur sie die breite Treppe hinaufgeleitete, deren ochsenblutroter Teppich unter ihren Schritten federte. Von dem wilden Kreischen, Pfeifen und Tirilieren war nicht das mindeste mehr zu hören, und sicherlich hatte sie sich in ihrer begreiflichen Erregung vorhin nur eingebildet, daß auf einmal die Tiere des Urwalds in den königlichbritischen Prunksaal eingedrungen waren.
    Unter ihrer festlichen Stimmung begann allerdings aufs neue jener Stachel zu bohren. Die Seide ihres Empirekleides raschelte bei jedem Schritt, doch immer lauter wisperte in ihrem Innern die Frage: Wo steckt er, wo verbirgt er sich, mein herrlicher Galan? Und kurz darauf, als kaum leiserer Nachhall: Wer mag es nur sein?
    Während sie sich mit diesen Fragen nun doch ein wenig quälte, lächelte sie weiterhin hoheitsvoll in die Gesichter der Persönlichkeiten, die sich links und rechts vor ihr verbeugten und einander den Namen der strahlendsten Dame des Abends ins Ohr raunten: »Lady Helen Sutherland....«
    Der Gouverneur half ihr über die letzte Stufe hinweg und geleitete sie über die Schwelle des Ballsaals, den ein Dutzend kristallener Deckenlüster erstrahlen ließ. Helen spürte keinen Boden mehr unter ihren Füßen, sie schwebte förmlich bis in die Mitte des Saals, wo eine Wand aus befrackten Rücken sie zum Innehalten zwang.
    Das königliche Kammerorchester ließ nun eine einförmige Melodie erklingen, drei oder vier träge Töne, die sich unablässig wiederholten.
    Aber was soll das? wollte sie ausrufen, da wichen die Fräcke zur Seite, und vor ihr stand ihr Geliebter, mit einem Lächeln, Mr. Robert Thompson, mit raubtierhaften Schnurrhaaren und sein hagerer Leib von Kopf bis Fuß mit Jaguarflecken bemalt. Er breitete die Arme aus, ergriff ihre Hand und Schulter und begann sich zum summenden Klang mit ihr im Kreis zu drehen. Helen Harmess erwachte im ersten Morgenlicht, geweckt durch ein Wirrwarr lauter Rufe, und fand neben sich auf einem Schemel ihre noch klammen Kleidungsstücke, die sie hastig überwarf, um als Bursche Henry vor die Hütte zu treten, auf die Lichtung, wo Mr. Thompson und seine Gefährten bereits versammelt waren.

ACHT

1
     
     
    »Ra uslassen, zum Donner! Ihr elenden Affen, er stirbt!«
    Eine dröhnende Baßstimme riß Robert aus dem Schlaf. Trotz seiner unbequemen Lage mußte er irgendwann eingenickt sein, und nun lauschte er ins Stockfinstere, benommen und im ersten Moment nichts begreifend. Unter sich spürte er das Holzgitter, schmerzhaft in seinen Rücken gedrückt. Er wollte sich erheben, doch die Fesseln hielten ihn zurück. Seine Arme fühlten sich taub an, und seine Haut war am ganzen Körper wie mit getrocknetem Schleim bedeckt. Krötenschleim, dachte er, noch halb in Träumen, das Ritual, er stöhnte auf, jetzt erinnerte er sich - Blut, dachte er in jähem Abscheu, Blut aus so vielen Körpern, verrieben und geronnen auf meiner Haut. Und er erstarrte förmlich auf dem Gatter und sah mit furchtbar ernüchtertem Geist auf die Bilder, die abermals in ihm aufstiegen: wie er sich auf dem Jaguaraltar wand, besudelt, berauscht, wie eine Holzpuppe zuckend.
    »Ihr verlausten Brüllaffen, hört ihr nicht? Laßt uns auf der Stelle raus! Er kratzt ab, verdammt!« Es folgte ein Schwall von Flüchen und Verwünschungen, in der Sprache der Maya, unverständlich, aber der Ton war nicht zu mißdeuten.
    Das Verlies, die Gefährten, dachte Robert, und nun erst wurde ihm vollends bewußt, wo er sich befand. Es war Stephen, sein donnernder Baß, der vier Schritte unter ihm erschallte, in dem elenden Erdloch, in das die Jaguarpriester sie hinabgestoßen hatten,

Weitere Kostenlose Bücher