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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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ergriffen hätte, daß diese Zeichnung etwas ganz anderes darstellte, keine Zwillingspalme, keinen anmutigen Schattenriß. Aber es war weit ärger. Im Verlauf der Nacht mußten sich etliche Mundvoll Rum, vermengt mit Zigarrenasche, über das Blatt ergossen haben, das lange Zeit, wie er sich nun entsann, vor ihm auf dem Tresen gelegen hatte, zwischen Tabaksbeuteln und Krügen. Irgendwann in der Nacht hatte er es zusammengerollt und wieder in seine Tasche gesteckt, aber offenkundig zu spät: Wo gestern noch der geheimnisvolle Schattenriß zu sehen war, mit den Umrissen der auf der Seite liegenden jungen India, prangte jetzt ein unförmiger Fleck, klobig wie der Abdruck eines Klumpfußes.

8
     
     
    Während der gesamten, immerhin fast zehnminütigen Kutschfahrt zweifelten weder Robert noch gar Mrs. Molton auch nur einen Augenblick daran, daß er an ihrer Seite in die Kathedrale schreiten würde, wie an jedem Sonntag seit seiner Ankunft in Fort George. In scharfem Trab ratterten sie durch die Cork Street, deren gediegene einstöckige Häuser mit den umlaufenden Veranden über steilen Freitreppen so ungemein britisch wirkten, auch wenn die ganze Herrlichkeit bloß aus Holz errichtet war. Gleich darauf bogen sie in die Fort Street ein, die breiter als die Cork Street, aber ungepflastert war und mit Schlaglöchern übersät. Wie Puppen, die ein launisches Kind durcheinanderwirft, wurden Robert und Mrs. Molton in der Kutsche des seligen Lieutenant Molton auf ihren Sitzen umhergeschleudert, und mehrfach mußte die Lady eine eisgraue Strähne, die sich unter den Stößen der Droschke gelöst hatte, wieder unter ihr gefiedertes Hütchen schieben.
    Währenddessen wechselten die beiden kein einziges Wort. Mrs. Molton sah starr an ihm vorbei, wie eine Mutter, die ihren unartigen Sohn strafen will. Es war stickig heiß in der Kabine, und die Polster strömten einen Geruch von Kampfer und fortgeschrittener Fäulnis aus, der Robert den Atem nahm. Die Sonne schien vom locker bewölkten Himmel, und das Wasser des Haulover Creek, dessen Mündung sie überquerten, gleißte in allen möglichen intensiven Schattierungen von Grün und Türkis. Das zum Zerbrechen gestärkte Hemd unter Roberts Flanellanzug war bereits schweißgetränkt, als sie endlich das Nadelöhr der Swing Bridge hinter sich ließen.
    Im Glockenturm von St. John waren schon vor Minuten die letzten Schläge verhallt, und je näher sie der Kathedrale kamen, desto deutlicher erschallte der Gesang, den die Gemeinde zum Lob des Herrn anstimmte, von asthmatischem Orgelbrausen untermalt. Der Kutscher preschte bis vor das Kirchtor, wo er ihr Gefährt so unvermittelt zum Stehen brachte, daß Robert und Mrs. Molton einander beinahe in die Arme fielen. Tatsächlich faßte Robert erst in diesem Moment den Entschluß, der in den Augen der Lady nichts anderes als äußerster Frevel sein konnte, Rebellion gegen den Herrscher im Himmel und die britische Majestät. Er sprang auf die Straße hinab, half Mrs. Molton aus der Kutsche und entzog ihr dann mit sanfter Entschiedenheit seinen Arm.
    »Ich werde heute nicht am Gottesdienst teilnehmen, Mrs. Molton«, teilte er ihr mit, machte eine kleine Verbeugung und ließ sie vor der Ziegelfassade von St. Johns Cathedral stehen. Auch ohne sich noch einmal nach ihr umzublicken, konnte er sich vorstellen, wie sie ihm mit einer Miene eingefrorener Empörung nachsah, als er die Straße überquerte und auf der anderen Seite im Park von Government House verschwand.
    Britisch-Honduras war eine winzige Kolonie, vielleicht der ärmlichste und unbedeutendste Fleck im gesamten Empire Ihrer Majestät, und so war auch der Park des Gouverneurs von Britisch-Honduras kaum mehr als ein weitläufiger Garten. Bougainvillea-Hecken säumten den unvermeidlichen britischen Rasen, ein Karree von knapp einem halben Morgen, darauf verstreut zwei Dutzend schlanker Palmen, die sich zur Kathedrale hin zu verbeugen schienen. Rechter Hand erhob sich das White House von Belize, die weiß angestrichene Holzvilla des Gouverneurs, keine zwanzig Schritte dahinter glitzerte und funkelte die karibische See. Ein gesandeter Pfad säumte den Garten, ein breiterer, rot geschotterter Weg führte von der bewachten Straßenpforte schnurgerade zum Gestade, wo die Jacht des Gouverneurs vor Anker lag und zwei rostige Kanonen den leeren Horizont bedrohten.
    Robert trat von der Regent Street in den Park und grüßte flüchtig die beiden Uniformierten, die in ihrem Schildhäuschen Schutz vor der

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