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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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und bizarrer Konversation über den seligen Mr. Molton, der im Krimkrieg sein Leben gelassen hatte, oder vor allem über die »Organisation Ihrer Majestät zur Bekehrung der Urwaldindianer«, der Mrs. Moltons ganze späte Leidenschaft galt. Bleichhäutig und hager saß sie allabendlich in ihrem Chintzsessel, eine modebewußte Matrone mit tailliertem, nachschleppendem Kleid, und schwadronierte von der »teuflischen Wildnis des Heidentums«, die es »zum Lob des Herrn« urbar zu machen gelte. Allerdings hatte Mrs. Molton den Urwald noch nie mit eigenen Augen gesehen, obwohl dieser höllische Bezirk zehn Schritte vor den Toren von Fort George begann, und noch weniger war sie jemals jener »Urwaldindianer« ansichtig geworden, deren Bekehrung ihr so sehr am Herzen lag. Was indessen auch auf ihn selbst zutraf, dachte Robert, und in seinem Fall noch weit beschämender war, schließlich war er eigens von London nach Britisch-Honduras gereist, um auf den Spuren des kühnen Frederick Catherwood versunkene Mayaschätze zu entdecken.
    Als der Schmerz in seinem Schädel ein wenig abgeebbt war, erhob er sich und ging zu seinem Waschtisch, wo er sich, mit dem Rücken zu Queen Victoria, in seinen Emaille-Nachttopf erleichterte. Zugleich klopfte Mrs. Molton an seine Tür und rief mit krächzender Stimme: »Bei unserem Herrgott, Mr. Thompson, beeilen Sie sich!«
    Die Glocken brausten und dröhnten. Robert trat vor den Rasierspiegel, warf sich einige Hände voll lauen Wassers ins Gesicht und schabte sich die Stoppeln von Kinn und Wangen. Als er sich mit der Klinge über die Kehle fuhr, flackerte erneut jenes unbestimmte Gefühl in ihm auf, Angst oder Erwartung, ein leises Schwanken des Bodens unter ihm. Aus irgendeinem Grund mußte er auf einmal an Enrico Grimaldi denken, die umwerfendste Persönlichkeit, auf die er jemals getroffen war. Wenn es ein Ereignis in seinem Leben gab, dachte er, das ihn seiner Familie, seiner Verlobten, seiner ganzen Londoner Herkunftswelt auf einen Schlag entfremdet hatte, dann war dies seine Begegnung, vor ziemlich genau zwei Jahren, mit dem unerwartet jungen Magnetiseur. Grimaldi hatte ihn aus der bürgerlichen Bahn geworfen, von einem Moment auf den anderen, sagte sich Robert. Nicht lange, nachdem er von Grimaldi hypnotisiert worden war, hatte er zum ersten Mal von jenem Strom geträumt, auf dem er im Boot dahintrieb, unter dem leuchtend grünen Gewölbe des Waldes, in vollkommener Glückseligkeit.
    Hastig fuhr er in seinen Anzug, ein feierliches Modell aus schwarzem, viel zu dickem Flanell, in das er sich nur Sonntagmorgens zum Kirchgang zwängte. Währenddessen ließ Mrs. Molton im Flur wieder und wieder ihren Schlüsselbund erklirren, und die Glocken dröhnten, daß selbst die klafterdicken Mauern von Fort George erbebten.
    Roberts Kopf schmerzte immer noch teuflisch, als er mit Bürste und Pomade seinen fahlbraunen Schöpf bändigte, und seine Hände zitterten sogar ein wenig, als er die Schultertasche vom Haken neben der Verandatür nahm.
    »Mr. Thompson, Sie versündigen sich an Ihrem Schöpfer!«
    verkündete ihm Mrs. Molton durch die Flurtür.
    »Ich bin sofort unten, ich nehme den Weg über die Veranda.« Robert antwortete mechanisch. So plötzlich, wie frische Luft in ein Einmachglas strömt, war die Erinnerung in sein Bewußtsein zurückgekehrt, an die Absence, die ihn gestern in der Hafenstraße niedergestreckt hatte, an die junge Mayafrau und an Climpsey und Mortimer, die seine Lage für ihre trüben Zwecke ausgenutzt hatten.
    Er zog das Blatt mit der Zeichnung aus seiner Tasche, um sich rasch noch einmal zu vergewissern, daß der Schattenfleck tatsächlich ganz genau die Umrisse der jungen India aufwies. Zumindest das konnte doch keine bloße Einbildung sein, dachte er, während die Glocken schon matter zu läuten schienen und Mrs. Molton immer bitterer ihren Schlüsselbund erklirren ließ. Unten auf der Straße hörte er das Schnauben des Kutschpferdes und die halblaute Stimme des Kutschers, der beruhigend auf seine Mähre einsprach, aber Robert nahm all diese vertrauten Geräusche nur ganz am Rande wahr. Jenes unbestimmte Gefühl in seinem Innern war wieder wach geworden, ein Flackern der Angst oder Erwartung, und es schien stärker zu werden, während er den Bogen mit der Schattenzeichnung aufrollte.
    Längere Zeit hielt er das Blatt einfach nur vor sich in den Lichtstrahl, der durch einen Spalt zwischen den Vorhängen fiel. Im ersten Moment hatte er geglaubt, daß er den falschen Bogen

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