Im Tempel des Regengottes
daß die beiden für eine größere Reise gerüstet schienen. Mortimer hatte einen Seesack geschultert, und unter seiner aufklaffenden Jacke blitzte, linker Hand in den Gürtel geschoben, eine silberne Pistole hervor. Dagegen trug Climpsey zu seinem weiten Umhang, den er niemals abzulegen schien, nun eine irische Mütze mit rundem Schild. In der Rechten hielt er einen speckigen schwarzen Koffer, und über seiner linken Schulter hing am Lederriemen ein Repetiergewehr.
»Wir verlassen die Stadt«, sagte Climpsey.
»Das kommt überraschend«, antwortete Robert, der sich mehr denn je fühlte wie im Traum.
»Wir haben einen Hinweis bekommen, auf den wir seit Wochen gewartet hatten.« Climpsey setzte seinen Koffer in die Wiese, faßte den Gewehrriemen fester und machte einen weiteren Schritt auf Robert zu. »Sie erinnern sich doch«, sagte er, wobei er seine Stimme plötzlich senkte, »draußen im Dschungel, irgendwo an der guatemaltekischen Grenze, muß der Schatz vo n Tayasal vergraben sein. Oft genug haben wir darüber geredet, drüben in der Mahogany Bar.«
»Aber das waren Gerüchte, Abenteurerlegenden, nicht?« Robert antwortete mit einer Heftigkeit, die ihn selbst erschreckte. »Niemand konnte bis heute beweisen, daß es diesen Schatz je gegeben hat. Oder gar, daß er tatsächlich vor den Spaniern gerettet wurde.«
»Und was wäre, wenn wir diesen Beweis gefunden hätten?« Mortimers Baß dröhnte, selbst jetzt, da er seine Stimme zu dämpfen versuchte.
Widerwillig wandte sich Robert ihm zu. Der massige Mann trug noch immer seinen Seesack geschultert, nun erst ließ er ihn ins Gras gleiten, neben den schäbigen Koffer von Climpsey.
»Was würden Sie sagen, Mr. Thompson«, fuhr Mortimer fort,
»wenn ich diesen Beweis sogar bei mir trüge?« Und er klopfte sich mit der flachen Rechten auf die Brust, in Höhe seines Herzens.
Robert glaubte ein Rascheln zu hören, als wäre Stephen Mortimers Herz aus Pergament. Sein Gefühl traumhafter Unwirklichkeit wuchs und wuchs. Mit versengender Kraft brannte die Sonne vom Himmel, der nahezu wolkenlos war und leuchtend blau. Etwas Furchtbares wird geschehen, dachte er wieder, doch selbst dieser Gedanke schien ihm mit einem Mal fast irreal. Eine Traumkatastrophe, und wenn man zu sich kam, war tatsächlich nichts geschehen, wie damals, als sich Grimaldis Blick in seine Augen bohrte.
»Was für ein Beweis denn, Mr. Mortimer?« In den Augenwinkeln sah er, daß Climpsey weitergegangen war, an ihm vorbei, auf das funkelnde Meer zu. Er wandte sich ein wenig um, beunruhigt, da dort drüben, bei der Kanone, seine Jacke und seine Tasche lagen. Vergeblich versuchte er Mortimer und Climpsey zugleich im Blick zu behalten, der eine stand genau vor ihm, der andere fünf Schritte hinter seinem Rücken. Und die drei Mayamänner im Schatten sahen noch immer zu ihnen herüber, auf den Unterschenkeln kauernd, sprungbereit.
»Sie erwähnten einmal einen gewissen Caterhood«, brummte Mortimer, »einen britischen Zeichner, der durch die hiesige Wildnis zog und Schätze der alten Heiden aufspürte.«
Robert nickte schwach. »Catherwood, um genau zu sein.«
Im nächsten Moment stand Mortimer so dicht vor ihm, daß Robert seinen Atem auf der linken Wange spürte. »Und Sie erwähnten des weiteren«, raunte er, »daß besagter Catherwood die höllisch verschnörkelten Schriftzeichen der alten Teufelspriester zu entziffern vermochte.«
»Nun, mehr oder weniger.« Robert wollte zurückweichen, Mortimers wäßrige Augen zehn Zoll vor seiner Nase waren ihm wenig angenehm. Doch da er fürchtete, ihn aufs neue zu kränken, blieb er stehen, wo er stand, und sah an Mortimer vorbei, zu den Maya neben der Zwillingspalme. »Oder besser gesagt«, fügte er hinzu, »ich selbst habe einige Annahmen entwickelt, aber aufgrund der Zeichnungen von Catherwood, der zahllose Glyphen mit großer Genauigkeit kopiert hat.«
Weit unangenehmer als Stephen Mortimers Nähe war ihm die Erinnerung an seine trunkene Prahlerei, denn um nichts anderes handelte es sich: Eines Nachts, nach dem fünften oder siebten Rumkrug, hatte er behauptet, daß er dank Catherwood imstande sei, die hieroglyphische Schrift der alten Maya zu entschlüsseln. Die Wahrheit war allerdings, daß bis zum heutigen Sonntag, dem 28. Juli 1878, niemand in der Lage war, die Zeichen auf Stelen und Altarsteinen zu entziffern, weder die besten Altertumsforscher noch gar er selbst, der auf diesem Gebiet nur ein paar stümperhafte Kenntnisse aus dritter Hand
Weitere Kostenlose Bücher