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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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hinter ihm. »Wenn Sie erlauben -?« Es war eine junge Stimme, hell und wohlklingend, mit ehrerbietigem Unterton. »Bitte verzeihen Sie meine Zudringlichkeit, Sir.«
    Ein Mädchen, dachte er, eine junge Frau, was mag sie wollen von mir? Sie sprach englisch ohne den kleinsten Akzent, und doch glaubte er herauszuhören, daß sie keine gebürtige Britin war. Er wandte sich um. Nach der gleißenden Helligkeit des Meeres vermochten seine Augen zunächst nur die Umrisse einer schlanken Gestalt auszumachen, die in bunte Gewänder gehüllt schien. »Was wünschen Sie?« Seine Stimme klang in seinen eigenen Ohren brüsk.
    Die Gestalt vor ihm fuhr zusammen und wich sogar einen Schritt zurück, wobei sie die Arme wie abwehrend vor der Brust verschränkte. Robert starrte sie an, wortlos, mit zusammengekniffenen Augen, und erst jetzt wurde ihm klar, daß er sich geirrt hatte: Vor ihm stand ein junger Bursche, mit glattem, knabenhaftem Gesicht und hellbrauner Haut. Allem Anschein nach war es ein Mestize, vielleicht siebzehn Jahre alt oder wenig darüber.
    »Verzeihen Sie, Sir«, wiederholte der Junge, indem er den Kopf ein wenig senkte und Robert aus großen schwarzen Augen von unten herauf ansah. »Ich hörte, daß Sie ins Landesinnere zu reisen gedenken und einen wegkundigen Diener suchen, der für Ihre Sicherheit und Bequemlichkeit sorgt.«
    Voller Erstaunen faßte Robert den schmalen Burschen aufs neue in den Blick. »Das ist...« Ein Irrtum, hatte er sagen wollen, doch da begann sich abermals jene unruhige Erwartung in seinem Innern zu regen. »... richtig«, fuhr er zu seiner Überraschung fort, »ein landeskundiger Gehilfe käme mir gelegen. Aber sag, Junge, wie heißt du? Und wie hast du von meinen Plänen erfahren?«
    Der Mestize ließ die Arme sinken und trat näher an Robert heran. Mit seinem sich bauschenden, rotschwarz gemusterten Hemd und der anliegenden schwarzen Hose, die knapp unter den Knien endete, bot er einen malerischen, sogar verwegenen Anblick, zumal sein Haarschopf unter einem kühn geschlungenen, gleichfalls rotschwarzen Tuch verborgen war.
    »Man nennt mich Henry, Sir«, sagte er in zutraulichem Ton.
    »Und von Ihrem Schatzsucherplan munkelt ja die halbe Stadt.« Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, bis in die Augen hinauf.
    »Meine Dienste sind nicht teuer, ein halbes Pfund im Monat, mehr verlange ich nicht. Dann ist es also abgemacht, Sir?«
    Robert zögerte einen Moment, doch endlich nickte er, fast gegen seinen Willen. Der Mestize verwirrte ihn, mit seinem Lächeln, seiner hellen Stimme, der schimmernden erdnußbraunen Haut. Was ist nur los mit mir? fragte sich Robert, keineswegs zum ersten Mal an diesem Tag. Schwindelgefühl erfaßte ihn, er schloß die Augen und preßte eine Faust gegen seine Stirn.
    Jemand rief seinen Namen. »Zum Donner, Mr. Thompson«, hörte er, »ist Ihnen nicht gut?« Über ihm kreischten die Möwen am Himmel, und vier Fuß hinter ihm klatschte die Brandung gegen das Ufer, wieder und wieder, mit singendem Unterton.
    Als er die Augen öffnete, standen Stephen Mortimer und Paul Climpsey zehn Schritte vor ihm, auf halber Strecke zwischen ihm und den drei Maya, die auf einmal angespannt wirkten, hellwach und abwehrbereit. Beunruhigt sah Robert sich nach Henry um, doch der junge Mestize war nirgends zu sehen. Plötzlich glaubte er auch den Sinn jenes ängstlichen Vo rgefühls zu verstehen, mit dem er heute erwacht war. Etwas Furchtbares würde geschehen, an diesem Sonntagmorgen im Park des Gouverneurs.

9
     
     
    »Wir sind uns bewußt, daß Ihre Kunst keine Störungen verträgt«, sagte Climpsey. »Aber es dauert wirklich nur einen Moment.«
    Er und Mortimer kamen noch einige Schritte näher, zögernd trat auch Robert auf den Rasen zurück. Noch immer hatte er das Gefühl, daß der Boden unter ihm schwankte, und für einen Moment fürchtete er, vor den beiden Kumpanen abermals ohnmächtig umzusinken. Die feuchte Hitze, dachte er, dazu Nacht für Nacht der verfluchte Rum. Und vorhin war er, anstatt auch nur einen Zwieback zu sich zu nehmen, gleich nach dem Erwachen mit Mrs. Molton zum Gottesdienst gehetzt. Kein Wunder, daß ihn bange Vorahnungen pla gten, sagte sich Robert, dem in diesem Moment ein Kernspruch seines Vaters in den Sinn kam: »Gegen Flausen hilft am besten ein deftiges Mahl.«
    Fünf Fuß vor ihm blieben Mortimer und Climpsey abermals stehen, neben einer windgebeugten Palme, die ihren langfingrigen Schatten auf den Rasen warf. Voller Erstaunen bemerkte Robert,

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