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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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Die Arme ausgebreitet, stand sie vor dem Priester, in völliger Nacktheit, stoßweise atmend.
    Der Priester sah sie von oben bis unten an, ihr zerschlagenes Gesicht, die üppigen Brüste, die vor dem weißen Leib auf-und niedertanzten, den goldenen Haarbusch zwischen ihren Schenkeln. Dann spie er sie an und schlug ihr im selben Moment die flache Hand ins Gesicht, so gewaltsam, daß Miriam zu Boden fiel.
    »Herr, dort entlang, schne ll.« Mabo, der auf einmal vor ihm stand, auf eine Lücke zwischen zwei Ruinen deutend. Den Sack voller Kleinodien und das Seil, auf dem die Idole aufgefädelt waren, hatte er verloren oder klugerweise von sich geworfen. An seiner Seite Ajkech, mit weit aufge rissenen Augen, beide über und über mit Schlamm bespritzt.
    »Wohin geht es dort?« Robert sah von einem zum anderen, unwillkürlich lächelnd vor Freude, die beiden unversehrt vor sich zu sehen. »Hast du Ixnaay gesehen, Mabo?«
    »Zum alten Fluß, Herr. Ixnaay? Nein, aber sieh nur, dort drüben ist Henry.«
    Unter diesen Worten hatte sich Mabo bereits in Bewegung gesetzt, quer über den Platz. Henry? Sein Herz machte einen Satz, aber wie angestrengt er auch in die von Mabo gewiesene Richtung spähte, seinen jungen Pferdeburschen vermochte er nicht zu sehen. Dennoch folgte er nun eilends Mabo, indem er sich abermals auf Ajkech stützte und ohne auf Miriam zu achten, die schreiend hinter ihnen herlief.
    Wolken flogen über den blauen Himmel, die Sonne brannte hernieder, Dampf wallte über Bäumen und Ruinen. Robert nahm alles in sich auf wie zum ersten Mal, als ob er soeben erst hier angekommen wäre, im Dschungel von Britisch-Honduras, ja überhaupt in dieser Welt. Er eilte hinter Mabo her, schon hatten sie das Schlachtfeld hinter sich gelassen und traten in eine schmale Gasse, die zwischen Tempeln und Pyramiden südwärts führte. Gras und Blumen wuchsen aus dem rissigen Steinboden hervor, und Schmetterlinge gaukelten umher, vieläugig geflügelt und vom gleichen leuchtenden Blau wie der Himmel über ihnen.
    Aus geborstenen Firsten und Fassaden wuchsen Ramonbäume, Palmen und Buschwerk, und Robert lauschte den Rufen der Vögel und sog den Duft der Blüten und Früchte ein, die überall in den Zweigen hingen. Eine sonderbar friedliche Stimmung herrschte in dieser Gasse, beinahe paradiesisch, dachte er, zumal er das Rauschen des Flusses in der Ferne schon zu hören meinte, ein kraftvolles Brausen wie in seinem allerschönsten Traum.
    Nach wenigen hundert Schritten öffnete sich die Gasse linker Hand zu einer abschüssigen Fläche, die kniehoch mit Gras und Blumen bewachsen war. Hinter ihnen erschallten britische Kommandos, gedämpft durch die Entfernung, und mehrfach knallten Schüsse, doch Robert nahm es nur am Rande wahr. Deutlich hörte er nun das Gurgeln des Flusses, das Stampfen der Wellen, die sich an einem Ufer brachen. Er trat auf die abschüssige Wiese, Ajkech mit sich ziehend, den Hals emporreckend, noch konnte er den Fluß nicht sehen, aber er war sicher, daß er dort unten fließen mußte, unterhalb der üppigen Wiese.
    Immer rascher lief er die Böschung hinab, von einer Ahnung vorangetrieben, die ihn mit bitterer Süße erfüllte. Wahrhaftig, dachte er, dort unten strömt der Fluß, genau wie in meinem Traum. Abermals erschallten Kommandos, viel näher jetzt.
    »Dort ist er«, rief jemand, »ergreift ihn«, Schüsse krachten, und er spürte einen Schlag im Nacken, dann war es schon vorbei. Eine Täuschung, keineswegs die erste, dachte er und mußte wieder lächeln und merkte dann erst, daß er auf dem Rücken lag und auf seiner Bahre die steile Böschung hinunterfuhr. Über ihm jagten die Wolken, das Gras rauschte, zu beiden Seiten nickten ihm leuchtfarbene Blütenköpfe zu. Verschiedene Stimmen schrien durcheinander, eine grelle Frauenstimme, barsche Kommandos, dazwischen helle Jungenstimmen, aber er verstand kein einziges Wort, ja er begriff nicht einmal, worüber sie alle sich erregten. Er atmete den Duft der Blüten, in rauschender Fahrt ging es hinab, und sein Herz pochte vor Erwartung und Glück. Das wirkliche Leben, dachte er, endlich bin ich erwacht.
    Sanft glitt er ins Wasser und wurde von der Strömung ergriffen, die ihn sogleich in die Mitte des Flusses zog. Er ließ eine Hand im Wasser treiben, wohlig die Finger bewegend. Langsam glitt er dahin, unter dem flirrend grüne n Gewölbe, zu dem sich hoch über ihm der Regenwald verflocht. Die Sonne streute helle Sprengsel auf die Wellen, die wieder und wieder

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