Im Tempel des Regengottes
rannen über seine Wangen. Es war Ja'much.
Seltsamerweise schien der alte Priester auch ihn zu erkennen.
»Bote der Götter«, sagte er, »so lange haben wir auf dich gewartet.«
Der Donner war urplötzlich erstorben, der Wolkenb ruch zu einem Nieseln abgeebbt. Immer noch starrte Robert in die zerquetschten Augen des alten Priesters, aus denen blutige
Tränen rannen. Er fragte sich, in welchem Sinn Ja'much seine Worte meinen mochte, ob als Feststellung oder Vorwurf, ob auf die Jahrhunderte bis zu seiner Wiederkehr oder auf seine diesmalige Verspätung bezogen. Aber er kam nicht dazu, diesen Gedanken fortzuführen, wie auch Ja'much keine Gelegenheit mehr gefunden hätte, ihm zu antworten, denn in diesem Moment stieß ihm Stephen von hinten sein Messer ins Herz.
6
Die Verwechslung von Himmels-und Kanonendonner war der letzte Irrtum der Gefährten, das Messer in Ja'muchs Rücken Stephens letzte Wahnsinnstat: Einen Lidschlag später stürzte er scheppernd zu Boden, neben den alten Priester, eine schwarze Axt in der Stirn. Sein letzter Blick, zu Robert, der sich über ihn beugte: vorwurfsvoll, als hätte allein er, Robert, sie alle in den Tod getrieben. Schon war er zur Hälfte im Schlamm versunken, überhäuft von glotzenden Idolen, sein Gesicht von der Axtklinge verschattet, von Blut übergossen, auf seiner Brust hockend ein goldener Götterkopf. Stephens Blick brach. Jetzt erst wurde Robert bewußt, daß die Luft ringsum von Kampfeslärm erfüllt war, Axthieben, Schreien, stampfenden Schritten im Schlamm. Er beugte sich noch tiefer zu Stephen hinunter, und ein furchtbarer Schmerz jagte durch seinen Rücken, vom Hals bis zu den Lenden hinab. Stephen hatte seinen letzten Atem verröchelt, seine Augen starrten, sein Mund stand offen, zu einem allerletzten Tadel geschürzt.
Einen halben Schritt neben ihm stürzte eine Gestalt zu Boden, ein Messer in der Brust, doch Robert nahm es kaum wahr. Er streckte die rechte Hand aus, einen Moment lang schwebten seine Finger über Stephens starrenden Augen, dann glitten sie zum Kragen hinab. Robert riß den perlmutternen Knopf ab und warf ihn durch die Augenhöhle in den Götterkopf, der auf Stephens Brust saß, plump und gebläht wie ein Frosch.
Er richtete sich wieder auf, und augenblicklich verebbte in seinem Rücken der Schmerz. Weiterhin wurde überall auf dem Platz gekämpft und geschlachtet, mit Messern, Äxten, Macheten. Es mochten Tausende sein, mit Blut bespritzt, mit Schlamm übergossen, so daß kaum mehr zu erkennen war, wer für die fahlhäutige Königin kämpfte und wer für den sterbenden Herrscher von Kantunmak. Ihre Gewänder längst zerfetzt, ob Uniform oder Tunika, halbnackt wälzten sie sich am Boden, drückten Kehlen zu, preßten Köpfe in den Boden, prügelten mit Holzknüppeln auf Widersacher ein, bis die zerstampften Leiber und der Schlamm des Dschungels, das Blut und der Regen sich zu einem Brei vermischten, gewürzt mit den Schreien der Sterbenden und dem Gesang der Vögel, mit Gebeten und Begierden, die alle unerhört blieben und sämtliche ungestillt.
Drei Schritte neben Stephen lag Paul, auf der Seite, als ob er schliefe, die Knie bis zur Brust emporgezogen, eine Wange in den Schlamm gedrückt. Als Robert sich über ihn beugte, verspürte er keinen Schmerz mehr in seinem Rücken, auch kein Entsetzen, obwohl zwischen Pauls Hals und Schädel eine handbreite Lücke klaffte, darunter glitzernd ein Bett aus Silberfäden, getränkt mit Pauls Blut. Seine Linke umschloß eine vollendet gearbeitete Jademaske, in der Rechten hielt Paul, wie einen Spiegel, eine goldene Scheibe mit den Zügen des Sonnengottes Ahau. Ein Lächeln lag auf seinem Gesicht, zumindest schien es Robert so, wie es ihm für einen Moment auch vorkam, als ob die strahlende Scheibe in sich wimmelte und vibrierte, wie der goldene Träumer in Xibalbá.
Abermals richtete er sich auf, und sein Blick traf auf Miriam, die sich vor einem Maya in grauer Tunika auf die Knie geworfen hatte, die Hände gefaltet und flehentlich emporgereckt. Es war ein schon älterer Mann mit grauen Haaren, seine Tunika zerrissen und schlammbespritzt, doch sein spulförmiger Ohrschmuck und der hoheitsvolle Blick wiesen ihn als höheren Priester aus. Offenbar flehte Miriam ihn um Schutz und Gnade an, aber der Priester starrte nur auf sie hinab, mit versteinerter Miene. Da packte sie sich mit beiden Händen vor die Brust, riß sich mit einer einzigen Bewegung ihre Nonnentracht vom Leib und erhob sich taumelnd.
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