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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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auf seine knarrende Bettstatt und einen geflochtenen Sessel daneben. Die Wände aus mageren, krummen Stämmen, nebeneinander in den Boden gerammt, so daß durch tausend Ritzen dünne Lichtstrahlen dringen konnten.
    Und draußen vor dem Türloch immer noch jene Stimme, nun leise, wie schwermütig murmelnd, unbestimmbar und doch so vertraut, daß eine zärtliche Sehnsucht in ihm aufstieg.
    Der Schmerz in seinem Nacken pochte. So plötzlich, als wäre in seinem Innern ein Fenster aufgesprungen, fiel ihm ein, was geschehen war, vor Wochen oder Tage n, in Kantunmak. Gewehrschüsse, Kampfesschreie, dann der Schlag in sein Genick. Die Soldaten hatten auf ihn geschossen, eine Kugel hatte ihn getroffen, aber seinen Nacken anscheinend nur gestreift. Er war die Böschung hinab und in den Fluß geglitten, und dort mußte er aufgefischt, in ein Boot gezogen worden sein - aber von wem?
    Das Nachdenken ermüdete ihn, und abermals glitt er in den Strom der Bilder und Laute, Bewegungen und Gerüche zurück. Unter ihm das Rauschen und Glucksen, das Murmeln und Schwappen des Wassers, das ihn mit Gallertarmen wiegte, hin und her und hin und her. Ich lag in einem Kanu, dachte er, rücklings am Boden, und auf der Bank vor mir, Paddel in den Händen, saß sie. Er schloß die Augen und sah alles aufs neue vor sich: den mächtigen Strom, auf dem sie hinabtrieben, Tage und Nächte und Tage, bis sie irgendwann in ein Rinnsal abzweigten, das sich zwischen Bambus und blühendem Buschwerk verbarg. Feuerglanz orangeroter Blüten, und dazu der Modergeruch, der aus dem aufgewühlten Wasser aufstieg. Schwärme von Fliegen, Mücken, geflügelten Käfern, im Sonnenlicht flirrend, daß die Luft über Schilf und Bracke grüngolden erglänzte.
    Das Element, in dem sie trieben, schien nicht Wasser, nicht Erde. Scharrend und schleifend schob sich ihr Kanu voran durch dampfenden Schlamm. Stunde um Stunde glitten sie durch eine Welt, die den Uranfängen der Schöpfung anzugehören schien. In traumhaftem Wachen spähte er über den Rand des Bootes: riesenhafte Bäume, aus Moorestiefe bis in den Himmel ragend. Augen öffneten sich auf der braunen Fläche, und in der Tiefe regten sich gigantische Gliedmaßen, träge wie im Schlaf. Es war, als furche ihr Boot durch die Schleimhaut einer ungeschlachten Kreatur, die aus ihrem Leib unablässig Geschöpfe spie: Wolken schillernder Insekten, ein Gewimmel und Geringel von Würmern, Schlangen, Fischen, Quappen.
    Eines aber stimmte nicht, dachte Robert beunruhigt, in einem entscheidenden Punkt mußte seine Erinnerung ihn trügen: Vor ihm im Boot hatte nicht Ixnaay gesessen, die India seiner Träume, sondern der Pferdebursche Henry, sein schmaler Rücken im rotschwarzen Hemd sich beugend und streckend im Takt seiner paddelnden Arme.
    Bestimmt bin ich hier in Ixt'u'ulchac, dachte er, an dem Ort tief im Dschungel, von dem Ixnaay gesprochen hat, es kann gar nicht anders sein. Aber wo ist sie selbst, warum saß sie nicht bei mir im Boot, wie von uns beiden erträumt? O Gott, ob ihr etwas zugestoßen ist? Und was ist mit Ajkech und Mabo?
    Sein Gedächtnis gab jählings weitere Szenen preis (wie er zusammen mit der Stele rücklings umgestürzt war - daher der Verband um meine Brust, dachte er; wie Ja'much sich auf dem Schlachtfeld zu ihm umgedreht hatte, die Augen voll roter Tränen; wie Stephen vor ihm zusammengebrochen war, eine schwarze Axt in der Stirn...), aber noch immer nicht die geringste Erinnerung an Ixnaay während ihrer Flucht. Da hielt es ihn nicht länger auf seinem Lager, er schwang die Beine über den Bettrand und richtete sich behutsam auf.

3
     
     
    Sie lag rücklings in ihrem Boot, nach ältestem Brauch der Priesterinnen Ixquics, wie sie es sich erbeten hatte: flach auf den Boden der Barke gebettet, gehüllt in ein silberfarbenes Leintuch, das ihre schmal gewordene Gestalt von den Füßen bis zum Hals umschloß.
    Das Boot stand am Rand der Lichtung, vor der Hütte, in der Ixnaay gelegen hatte, seit sie in Ixt'u'ulchac eingetroffen waren. Auch die Außenhaut ihres Bootes schimmerte in silbrigem Weiß, und seiner Form nach ähnelte es einer liegenden Sichel, dem heiligen Zeichen der Mondgöttin.
    Sie konnte keinen Muskel, kein Glied mehr regen, jede Faser ihres Körpers war durch das Gift des Stelenzaubers gelahmt. Seit heute früh vermochte sie auch ihren Mund nicht mehr zu bewegen, selbst die lautlos gehauchten Worte nicht mehr zu formen, die Helen ihr in den letzten Tagen noch vo n den Lippen abgelesen

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