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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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dieser Moment ging vorüber, das hier war keine Traumwelt, und in jene hypnotischen Welten würde er nie mehr zurückkehren, das alles lag hinter ihm. Robert drückte die Schultern des kleinen Maya, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und deutete mit dem Kinn auf die andere Seite des Platzes. Dort standen Stephen und Miriam, Paul und Mabo, nur als verschwimmende Schemen sichtbar hinter der Wand aus Regen, umringt von einem Dutzend Mayakriegern, die drohend ihre Äxte erhoben hatten.
    »Mabo! Wir müssen ihm helfen!« Er schrie es auf Ajkech hinab, zweifach sinnlos, da die Gewalten Cha'acs alles übertönten und der kleine Krieger die englischen Worte ohnehin nicht verstehen konnte.
    Oder doch? Ajkech nickte, seine Augen weiteten sich, und im selben Moment setzten sie sich in Bewegung, durch knöcheltiefes Schlammwasser watend, vom Regen gepeitscht. Anfangs versuchten sie noch, den Kämpfenden in weiten Bögen auszuweichen, aber bald schon merkten sie, daß niemand ihnen Beachtung schenkte. Ineinander verkrallt rangen Soldaten und Krieger miteinander, schluge n die Faust in das Gesicht des Widersachers, zwangen ihn zu Boden, drückten seinen Kopf in die Bracke, trieben die bluttriefende Klinge in sein Herz. Wenn ein Soldat oder ein Krieger sie doch einmal ansah, glitt sein Blick gleich wieder von ihnen ab, als ob sie einer anderen Welt angehörten, unbegreiflich für die Kämpfenden, einer Welt, in der Braun und Weiß einander stützten statt massakrierten.
    Robert schritt zwischen ihnen hindurch, steifleibig durch das Brett auf seinem Rücken, den bei jedem Schritt ein stechender Schmerz durchfuhr. Der Regen toste auf ihn hinab und wusch die mit Glyphen bedeckten, mit Opferblut befleckten Papierstreifen und die kalkweiße Schminke von seiner Haut. Mehrfach reckte er den Hals und spähte zu den Gefährten hinüber, die von den Mayakriegern immer enger umkreist wurden. Warum hatten die Krieger sie nicht längst überwältigt? Vielleicht fürchteten sie sich, die Kumpane anzugreifen, dachte er, solange diese mit den glotzäugigen Götterköpfen behangen waren.
    Mit markerschütterndem Donner bewies Cha'ac weiterhin seine Macht. Die Niederlage seiner Mayakrieger konnte der Regengott sicherlich nicht verhindern, aber zumindest wurde den Briten der Sieg erschwert, da ihre Feuerwaffen unbrauchbar waren, solange die Wassermassen vom Himmel stürzten. Immer wieder sah Robert, wie ein Soldat seinen Revolver oder sein Gewehr abzufeuern versuchte, wirkungslos. In der dampfenden Nässe dieses Kampfes war jedes Messer tödlicher, jede Steinaxt gefährlicher als die feinmechanischen Wunderwerke aus den Waffenschmieden Britanniens.
    Durch knöcheltiefen Schlamm, in den sich immer breitere Schlieren frischen Blutes mischten, wankten Robert und Ajkech voran, ein Dutzend Schritte noch von den Gefährten entfernt. Stephen, Paul und Mabo sahen zugleich lachhaft und furchterregend aus, mit den unförmigen Säcken auf den Schultern und den glotzköpfigen Idolen und Masken, die ihnen dicht an dicht vor Brust und Rücken hingen. Robert sah sie an und dachte auf einmal: Vielleicht hatten sie nicht nur einen Tag länger als angenommen in der Unterwelt verbracht, sondern womöglich deren fünf oder sieben. Wenn sein Zeitgefühl ihn um zehn oder fünfzehn Stunden trügen konnte, warum dann nicht auch um eine ganze Woche? Aber er verwarf diese Idee gleich wieder, ebenso wie den Gedanken an die Prophezeiung, die seinen Tod für den 28. August 1878 voraussagte, den zehnten Tag nach seinem Eintreffen in Kantunmak. Das alles hat keine Bedeutung mehr für mich, dachte er, es geht nur noch um zweierlei: Mabo zu befreien und dann Ixnaay und Henry aufzuspüren.
    Beinahe hatten sie die Gefährten erreicht, als ein Krieger in grauem Gewand auf einmal seine Faust hob und Paul ins Gesicht schlug. Paul warf die Arme hoch, der Sack rutschte von seinen Schultern, und er taumelte rückwärts, gegen einen weiteren Krieger, der ihn heftig von sich stieß. Ein wüstes Handgemenge setzte ein, an dem sich auch Miriam beteiligte. Mit wehendem, vom Regen gesträhnten Goldhaar sprang sie einen Maya an und schlug ihre Katzenkrallen in sein Gesicht. Der Maya fuhr stöhnend herum, ein hochgewachsener Mann mit grauem Haar, und riß beide Hände empor. Robert machte einen letzten Schritt und stand genau vor ihm, als der Mann in der grauen Tunika seine Hände wieder sinken ließ.
    Fassungslos sah Robert ihn an. Seine Augen waren blutige Kugeln. Leuchtend rote Tränen

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