Im Tempel des Regengottes
über die Wasserfläche rollten, wie Schauer über nackte Haut.
»Robert?« Es klang, als ob das Wasser selbst zu ihm spräche, so weich, so warm. Aber es war Ixnaay, er wußte es, noch ehe er sich aufgerichtet hatte. Sie saß vor ihm, nur mit einem silbernen Schurz bekleidet, und nun wandte sie sich um zu ihm, wie hundertfach erträumt. »Mein Mondgeliebter?«
Er wollte sich erheben, nach ihr greifen, doch seine Hand faßte ins Leere. Eine Stromschnelle packte ihn und warf seine Bahre herum, so daß er unter Wasser gedrückt wurde. Er wollte Ixnaays Namen rufen, und sein Mund füllte sich mit einem Wasserschwall. Das letzte, was er sah, waren die bemoosten Felsen am Grund des Flusses, aufragend wie Pyramiden und Tempelruinen, darüber Scharen glotzäugiger Fische und ein Wirbel von Glyphen im klaren Wasser, unleserlich und leuchtend rot.
VIERZEHN
1
Seit Stunden stand sie an der Feuerstelle neben dem Langhaus, über Töpfe und Tiegel gebeugt. Mit dem hölzernen Löffel in ihrer Linken rührte sie in dem großen Bottich, aus dem Schwaden würzigen Rauchs aufstiegen. Zugleich zerhackte sie mit einem Messer rechtshändig Wurzeln und Blätter, die auf der Steinplatte neben dem Feuer aufgehäuft lagen. Immer wieder warf sie Händevoll gehäckselter Pflanzen in den Bottich oder in einen der kleineren Töpfe daneben. Nur ganz selten hielt sie für einen Moment inne, um einen raschen Blick über die Schulter zu werfen, zu der mächtigen Tempelruine, deren Fassade fahlweiß zwischen den Baumwipfeln schimmerte.
Sie waren in ihre Vergangenheit zurückgekehrt, nach Ixt'u'ulchac, in das Dorf ihrer Kindheit, dessen Bewohner vor Jahrzehnten von Ajkinsajs Kriegern massakriert worden waren. An derselben Stelle, an der damals die Häuser ihrer Sippe in Flammen aufgegangen waren, hatten sie ihre notdürftigen Behausungen errichtet, vier Hütten und das Langhaus im Schatten des halb zusammengestürzten Tempels, in dem einst die Mondgöttin verehrt worden war.
Einige Sonnenstrahlen, dünn wie Spinnenfäden, durchdrangen die Wipfel und warfen ein schütteres Lichtnetz auf den Lehmplatz vor dem Langhaus. Ein schwarzes Huhn stolzierte an der Feuerstelle vorbei, zwei Schritte neben Helen, deren Hemd und Hosen mit einem Wirrwarr von Flecken in Grün und Rot gesprenkelt waren. Immer noch trug sie die Kleidung des Pferdeburschen Henry, aber nur heute noch, dachte sie, und dann niemals mehr. Ihr Magen zog sich zusammen, vor banger Vorfreude auf die ersehnte Rückverwandlung, doch ebenso vor Kummer über die bedrückende Pflicht, die sie vor der Abenddämmerung noch erfüllen mußte.
Auch heute wieder war sie beim ersten Morgenlicht aufgestanden, wie an jedem Tag, seit sie in Ixt'u'ulchac eingetroffen waren. Den ganzen Vormittag über hatte sie sich um die Verwundeten im Innern des Langhauses gekümmert, Verbände angelegt oder erneuert, Salben auf Wunden gestrichen, Heiltees verabreicht und Worte des Trostes und der Ermutigung gemurmelt.
Ihr Ruf schien sich in Windeseile zu verbreiten. Wer auch immer das Gemetzel von Kantunmak überlebt hatte, versuchte offenbar, sich bis hierher durchzuschlagen, in der Hoffnung, durch Ixnaays Heilkunst zu genesen. Schon waren es fast zwei Dutzend, mit verstümmelten Gliedmaßen, entzündeten Wunden und trauerstarren Mienen, und täglich trafen weitere verwundete Mayakrieger an diesem nahezu unzugänglichen Flecken ein, im Herzen des Dschungels von Britisch-Honduras.
Glücklicherweise hatte Ixnaay ihr die wirksamsten Rezepte und Kunstgriffe noch erklären können: Schienen und Preßverbände, damit zerbrochene Gliedmaßen wieder zusammenwuchsen, Salben gegen Wundentzündung, Tinkturen zur Reinigung und raschen Heilung von Schnitt-oder Schußverletzungen, Tees gegen Wundschmerz, böse Träume und Fieber. In fliegender Hast hatte Helen diese unschätzbaren Weisheiten aufgeschrieben, und unter Ixnaays Anleitung hatte sie aus den Essenzen und Pulvern, die sie aus dem Altar der Mondgöttin gerettet hatten, einen Sud zubereitet, der mit frischen Kräutern oder Wurzeln vermengt werden mußte, je nachdem, welche Gebrechen man heilen wollte, offene Fleischwunden oder innere Verletzungen, zersplitterte Knochen oder verstörte Seelen.
Vor einer Woche, nach viertägiger Kanufahrt durch immer schmalere, immer morastigere Wasserarme, hatten sie ihren Zufluchtsort erreicht. Da war Ixnaay bereits an Armen und Beinen gelähmt, und die Versteinerung ihres Leibes kroch unaufhaltsam voran, in ihre Hüften,
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