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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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Berührung auf Haut und Gewand haftenblieb, ihr pilziger Modergeruch. Gift, dachte er, vielleicht waren es Blätter giftiger Pflanzen, deren Sekrete Wahnvorstellungen auslösen?
    Sein Verstand begann ein wenig klarer zu werden. Aber womöglich, dachte er dann, bildete er sich das auch nur ein, vielleicht war es nur eine besonders tückische List der Jaguare, die ihn von ihrer Unwirklichkeit zu überzeugen versuchten, damit er sich endlich bewegte. Lange dachte er darüber nach. Närrischer Unfug, schalt er sich endlich und beobachtete wieder die gescheckten Schemen, die unablässig über ihn hinwegsprangen, mit mechanischem Gleichmaß, einer nach dem anderen und immer von links nach rechts. Prüfend sog er ihren Geruch ein. Sie rochen überhaupt nicht nach Fell, dachte er, nicht nach Tier. Sie rochen nach gar nichts, allenfalls strömten sie einen leichten Modergeruch aus, wie das Wasser, das er vorhin getrunken hatte.
    Das Wasser. Mit einem Schlag, als wäre in ihm eine Falltür aufgerissen worden, kehrte seine Erinnerung zurück. Die Lichtung, der See, die Kröte, dachte er, natürlich, so mußte es gewesen sein. Weiterhin sprangen die gescheckten Schatten über ihn hinweg, und Robert rief sich einen Artikel in der Gazette der Western Indian Company ins Gedächtnis, in dem ein Urwaldforscher beschrieben hatte, wie die Schamanen der Indios, heute wie in alten Zeiten, Kröten von der Gattung Bufo marina töteten, um aus ihrem Drüsensekret lähmende und berauschende Gifte zu brauen. So mußte es auch ihm selbst ergangen sein, dachte er, ihm und den Gefährten. Sicher waren die Blätter in jenem Kriechgang mit Krötengift bestrichen worden, um den Tempel des Jaguargottes zu schützen, der sich irgendwo in der Nähe des Sees befinden mußte. Das aber hieß, daß auch keine wirklichen Jaguare über ihn hinwegsprangen, sondern lediglich Schatten vor seinen Augen flimmerten, da er aller Wahrscheinlichkeit nach immer noch am Ufer jenes Sees lag. Doch wie konnte es sein, daß diese Schatten tatsächlich gescheckt schienen, wie das Fell von Jaguaren?
    Zum ersten Mal sah er bewußt um sich, oder versuchte es zumindest, denn noch immer wagte er nicht, sich auf den Rücken zu drehen. Wenige Zoll vor sich sah er schlammigen Boden, mit Gras bewachsen, auf dem er bäuchlings lag. Weiterhin sprangen die gescheckten Schemen über ihn hinweg, und Robert verdrehte behutsam die Augen nach link s, bis er das Ufer sah, flach, mit Gras bewachsen, und wenige Fuß dahinter den See. Der Wind kräuselte das Wasser und bewegte die Seerosen, deren Blätter auf der einen Seite dunkelgrün, auf der anderen hellgrün waren. Es mußte dieses ständige Flimmern der Seerosenblätter sein, dachte er, das, im Wasser tausendfach gespiegelt, den Eindruck hervorrief, als ob schattenhafte Jaguare unablässig ans Ufer sprängen und die ganze Luft ringsum mit ihrer scheckigen Präsenz erfüllten. Das berauschende Gift der Kröten mußte das seinige getan haben, um diese Täuschung zur Gewißheit zu verstärken, sagte sich Robert, der in diesem Moment ein leises Stöhnen hörte, wenige Schritte neben sich.
    Er hob den Kopf und sah nach rechts, vor Entgeisterung die Schattenkatzen vergessend. Keine zehn Fuß von ihm entfernt lagen seine Gefährten nebeneinander im Gras. Stephen und Miriam, Paul und Mabo, auch Ajkechtiim, keiner fehlte, sie alle auf dem Bauch, die Arme auf dem Rücken, und über jeden von ihnen stand eine dunkelhäutige Gestalt gebeugt, in engem, braungelb geflecktem Gewand und damit beschäftigt, sie an Händen und Füßen zu fesseln.

4
     
     
    Wie im Traum tappte Robert hinter den Gestalten her, über die weite Lichtung, die mit einem Vlies aus leuchtend grünem Gras bedeckt war. Mittlerweile mochten es sieben oder acht sein, und immer noch kamen weitere hinzu. Von verschiedenen Seiten des Platzes liefen sie herbei, mit geschmeidigen Bewegungen, die Oberkörper im Laufen weit vorgebeugt, als ob sie gleich auf allen vieren weiterjagen würden. Der Anblick war so ganz und gar unwirklich, daß er mehrmals die Augen zusammenkniff, doch wenn er die Lider wieder hob, bot sich ihm jedesmal das gleiche Bild. Zuerst hatte er geglaubt, daß sie enge, gefleckte Gewänder trügen, aber die Gestalten vor ihm, ein Dutzend oder mehr, hatten ihre bloße Haut mit braungelbem Jaguarmuster bemalt. Im Laufschritt eilten sie über die Lichtung davon, sehnige Gestalten, nackt bis auf ihre phantastische Bemalung, die gefesselten Gefangenen mit sich

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