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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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Robert, angeblich jener Statue bei der heiligen Stadt Kantunmak. Wenn ich den Gefährten nur von alledem erzählt hätte, dachte er nun, während er neben dem Holzgitter niederkniete, wäre sicher selbst Stephen davor zurückgeschreckt, diesen verbotenen Weg zum Jaguartempel zu nehmen, der offenbar schon Oldboy das Leben gekostet hat.
    Mit der Fackel leuchtete er in das Erdloch hinein, und was er sah, schien ihm furchtbar und unwirklich zugleich, wie ein Schreckgesicht im Traum. Vage empfand er, daß sein Gefühl nie mehr gutzumachender Schuld unangemessen, zumindest weit übersteigert war, doch auch diese Ahnung vermochte den Bann nicht zu brechen, der ihn umfing. Er sah auf seine Gefährten hinab, ihre verrenkten Leiber, die dort unten im Schmutz des Erdlochs lagen, wie sie hinabgeworfen worden waren, ihre Gesichter zur Seite oder auf die Brust gesunken, in Schmerz und Entsetzen erstarrt. Sie alle hatten die Augen geschlossen, Stephen und Miriam, Paul und Mabo, auch Ajkechtiim, und in unregelmäßiger Folge stöhnte oder seufzte einer von ihnen im Ohnmachtsschlaf.
    Einen Moment lang sah Robert noch auf sie hinab. Wie gelagertes Fleisch in einer Vorratskammer, dachte er, und diesmal spürte er kaum mehr, wie verworren seine Gedanken waren. Unablässig stieg von der Fackel jener Geruch auf, der seinen Verstand mit wallenden Nebeln umgab. Abermals sah er die Schar der Jaguarpriester vor sich, ihre nackten, braungelb gescheckten Leiber, ihre unheimlichen Raubkatzengesichter mit den gedrängten Flecken um die Augen herum und dem hypnotisch starren Blick. In der Ferne hörte er nun ein leises, rasches Wummern, ungewiß, ob von seinem eigenen Pulsschlag oder von Trommeln, die in der Tiefe des Hügels geschlage n wurden. Robert erhob sich und ging mit traumwandlerischen Bewegungen über das Holzgitter hinweg und weiter in den Tempel des Jaguargottes hinein.

6
     
     
    Der Saal war kreisrund, von Fackeln erhellt, doch seine Mitte lag im Dunkeln, ein Geviert von neun auf neun Fuß, unter Schatten begraben. Mit raschen, schleichenden Schritten, im Takt jener Trommel, tappten die Jaguarpriester im Kreis um die schwarze Mitte, neun, elf, achtzehn geschmeidige Gestalten, die Oberkörper vorgebeugt, als ob sie gleich auf alle viere niedersinken wollten. Ihre nackte Haut, die helldunklen Flecken glänzten im Schein der Fackeln, die in Wandnischen brannten, zwischen mehr als mannsgroßen Stelen, die alle die gleiche Wesenheit verherrlichten: einen düster dreinblickenden Götzen mit durchdringendem Blick und raubkatzenhaftem Schnurrbart, dessen untere Gesichtshälfte wie ein Jaguarfell gemustert war.
    Zweifellos war es die Gottheit, der die Priester dieses Tempels dienten, dachte Robert, der Herrscher von Bolontiku, durchfuhr es ihn auf einmal, der neunfaltigen Unterwelt. Er drückte sich mit dem Rücken gegen die Felswand, handbreit neben dem Gang, aus dem er eben in den Saal getreten war, und lauschte in sich hinein, erstaunt über das Wissen, das unversehens in ihm emporgestiegen war. Zugleich beobachtete er die jungen Jaguarpriester, die mit schleichenden Bewegungen um die schwarze Tempelmitte schritten, keine zwanzig Fuß von ihm entfernt. Vage wurde ihm bewußt, daß von den Fackeln in den Wandnischen der gleiche Qualm und scharfe Geruch aufstieg wie von der Leuchte in seiner Linken, überall in dem weiten Raum waberte bräunlicher Dampf umher. Noch immer erklang auch jenes rasche, dunkle Wummern, doch so sehr Robert sich auch mühte, er konnte nicht herausfinden, ob die Schläge von seinem eigenen Puls oder von einer Trommel kamen, die vielleicht dort drüben geschlagen wurde, in der schwarzen Mitte des Saals.
    Während er noch darüber nachdachte, steigerte sich das Tempo der Trommelschläge zu jagendem Stakkato, das von den Felswänden widerhallte, als befänden sie sich in einem riesigen, rasenden Herzen. Sein ganzer Körper begann in diesem Rhythmus zu zucken, selbst die Felswand in seinem Rücken schien im Stakkato der Trommelschläge zu vibrieren, und auch das Licht der Fackeln, in seiner Hand und ringsum an den Wänden, begann in rasender Folge zu pulsieren. Für einen Moment standen die Jaguarpriester wie erstarrt um die Mitte des Tempels, in der Robert nun einen gewaltigen Kubus zu erkennen glaubte, einen schwarzen Steinkoloß, der jeweils für einen Lidschlag im pulsierenden Licht erstrahlte und wieder der Finsternis verfiel. Dann hoben sie alle gleichzeitig ihre Hände, und er sah, daß sie in der Linken beinerne

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