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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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sicher wunderbar kühl war, köstlich, dachte Robert, der in diesem Moment bemerkte, daß er bereits am Boden lag, drei Schritte vom Ufer entfernt. Die Sonne brannte vom Himmel, der ganze weite Platz war mit Licht übergossen, so gleißend, daß er nur noch weißliche Schemen sah. Oder lag das gar nicht an der Sonne? An den Rändern des Platzes bemerkte er auf einmal riesige Stapel gefällter Bäume. Es mußten Hunderte sein, dachte er, geschälte Stämme, dicke, bleiche Stengel, zwischen den hohen Bäumen, am Seeufer, überall lagen sie aufgehäuft. Also waren Oldboy und seine Männer bis hierher vorgedrungen? Und zur Strafe, weil sie diese Bäume geschlagen oder die erwachsenen Mayakrieger von Chul Ja' Mukal gezwungen hatten, sie zu fällen, hatte Iltzimin sie dem Regengott opfern lassen?
    Seine Gedanken verwirrten sich, und die Sinne wollten ihm vollends schwinden. Ich verdurste, dachte er. Wie oft hatte er von Wüstenwanderern gelesen, die zu halluzinieren begannen, wenn die Sonne ihre Körper ausgedörrt hatte. Sein Gaumen, sein Rachen fühlten sich an wie mit heißem Sand bedeckt. Zum Wasser, trinken, dachte er wieder und spürte, wie er kraftlos zuckte, bäuchlings am Boden liegend, wie die verfluchte Schlange der Bibel. Er drehte sich um und sah über die Schulter zurück. Hinter ihm, in ungewisser Entfernung, lagen auch die Gefährten am Boden, von gleißendem Licht übergossen, wie in Krämpfen bebend. Wir schaffen es, dachte Robert, und als er sich wieder nach vorn wandte, sah er auf einmal die junge India, auf der anderen Seeseite, die schöne Mayafrau, die sich in Belize Town über ihn gebeugt und in der Höhle Cha'acs zu ihm hinabgesehen hatte, aus jener Wandnische, ungewiß, ob eine Statue oder eine Frau aus Fleisch und Blut. Dort drüben stand sie, am anderen Ufer, überflutet von gleißendem Licht. Wie ich
    selbst, dachte er auf einmal, auch ich bin ein lebendiger Mensch und zugleich eine Statue, verloren in der Weite des Waldes.
    Unter diesen verworrenen Gedanken war er anscheinend weiter vorangekrochen. Auf einmal roch er Wasser, dicht vor seiner Nase, weniger frisch, als er gehofft hatte, modrig fast. Er tastete vor sich über den Boden, da endlich fühlte er die köstliche Nässe, wölbte seine Hände zur Schale, hob sie vor seinen Mund und schlürfte die Tropfen in sich hinein. Wie eine Katze, dachte er, mit läppernder Zunge, und sah auf einmal eine große, golden gepunktete Kröte vor sich, keine zwei Fuß entfernt im Ufergras. Die Kröte glotzte ihn an, aus hervorquellenden Augen, ihr Leib pumpte. Wie grauenvoll häßlich sie ist, dachte er, da machte sie einen Satz, und etwas Dunkles fiel auf ihn herab, vielleicht der plumpe Krötenleib, und es wurde finster um ihn.

3
     
     
    Die Jaguare sprangen über ihn hinweg, große, gescheckte Katzen, es mußten Dutzende sein. Wie versteinert lag er da, auf dem Bauch, den Kopf ein wenig zur Seite gewandt, und wagte nicht, sich zu rühren. Wieder und wieder sprangen sie über ihn, von links nach rechts, dabei leise fauchend. Er roch ihren Atem, den Tiergeruch ihres Fells, und er verstand nicht, warum sie ihn nicht packten, seine Knochen zermalmten, sein Fleisch zermahlten. Sowie ich mich bewege, dachte er wieder und wieder, ist es aus mit mir.
    Er wußte nicht, wo er sich befand, wie lange er schon hier lag oder wie lange seine Qual noch dauern sollte. Es war, als wäre er aus Zeit und Raum herausgefallen, in eine Schattenwelt, in der es nur ihn und diese Raubkatzen gab, geschmeidige Schemen, die unablässig über ihn hinwegsprangen. Also hatte Ajkechtiim recht gehabt, dachte er einmal, der junge Mayakrieger hatte sie davor gewarnt, dem verbotenen Pfad zu folgen, da der Tempel des Jaguarpriesters, Chilam Balam, von Jaguaren bewacht werde. Wieder und wieder sprangen die riesigen Katzen über ihn hinweg, immer von links nach rechts. Es war weniger ein Springen, dachte er, als ein Fließen, ein Schaudern, als flögen gescheckte Schatten blitzschnell über ihn.
    Vage spürte er, daß sein Bewußtsein noch immer getrübt war, verzweifelt versuchte er sich zu erinnern, wie er in diese Lage geraten war.
    Er sah den Röhrengang vor sich: Sie waren hindurchgekrochen, aber was war dann geschehen? Die gescheckten Schatten huschten über ihn. Es sind keine Jaguare, dachte er auf einmal, wagte aber nicht, die Richtigkeit dieses Gedankens zu prüfen, weiterhin starr vor Angst. Die großen, fleischigen Blätter fielen ihm ein, der weißliche Schleim, der bei jeder

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