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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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gierigen Götzen verfüttern, bei lebendigem Leib.
    Und wenn du es aber doch bist? wisperte eine Stimme in ihm. Wenn Iltzimin recht hätte, wenn es das alles tatsächlich gäbe: Götter, Schicksal, Wiedergeburt? Ein Schauder überlief ihn, seit Tagen raunte die Stimme in seinem Innern, verführerisch, beharrlich, und ein Teil von ihm hatte schon begonnen, dem Gesäusel sein Ohr zu leihen. Würde es nicht erklären, warum es ihn seit vielen Jahren gerade hierher gezogen hatte, in die Dschungelwelt der Maya? Aber wie könnte er jemals herausfinden, was es mit dieser phantastischen Vorstellung auf sich hatte, wenn er Stephens Befehl befolgte, anstatt auf diesem Weg weiter zur heiligen Stadt Kantunmak zu ziehen?
    Götterbote, Wiedergeburt, dachte er dann, was für ein abergläubischer Unsinn. In plötzlicher Ernüchterung wandte er sich um, zu Mabo und Ajkechtiim, die hintereinander auf der Schecke des Mestizen saßen, Henrys Pferd und das Lasttier hinter sich am Zügel führend. Der junge Mayakrieger schien begriffen zu haben, was Stephen vorhatte. Mit großen Augen sah er von einem zum anderen, und Schrecken malte sich in seinem Gesicht.
    »Frage ihn, wohin der Pfad im Dickicht führt«, befahl Robert dem Mestizen, der hinten auf dem Pferd saß, einen Kopf größer als Ajkechtiim.
    Die beiden wechselten einige rasche Worte, wobei sich der Schrecken in Ajkechs Gesicht zu schierem Entsetzen zu steigern schien. »Ein verbotener Weg«, sagte Mabo schließlich, »nur Priester dürfen ihn gehen.«
    »Aber wohin führt er?« beharrte Robert. »Und wie werden die bestraft, die das Verbot übertreten?« Er hoffte, daß Ajkechtiim so grauenvolle Strafen erwähnen würde, daß selbst Stephen beeindruckt wäre, doch unglücklicherweise schien sich nur der erste Teil seiner Hoffnungen zu erfüllen.
    »Der Pfad führt zum Tempel des Chilam Balam, des Jaguarpriesters«, sagte der junge Maya und riß die Augen noch weiter auf. »Jaguare bewachen das Heiligtum. Wer sich ihm unberechtigt nähert, wird von den Geisttieren des Jaguargottes zerfleischt.«
    »Blödsinn! Das reicht jetzt!« Stephens Baß dröhnte durch den Wald. »Abgerichtete Wildkatzen, die wie Wachhunde einen Tempel beschützen? Mit solchen Geschichten kann man vielleicht eine Horde Affen einschüchtern, aber nicht mich! Pah!« Er nahm die Karte von Miriams Beinen, faltete sie achtlos zusammen und schob sie mitsamt dem Kompaß in seinen speckigen Brustbeutel zurück. »Auf geht's, zum Donner!« rief er. »Wenn du immer noch Zweifel haben solltest, Robert, wird dich vielleicht das hier überzeugen.« Und er zog seine Pistole und feuerte auf das Zeichen im Blauholzstamm, die blutrote Krone, die in einem Wirbel aus Holzsplittern, Rauch und Pulvergestank zerbarst.

2
     
     
    Es war eher ein Kriechgang als ein Pfad, von Düsternis erfüllt und so niedrig, daß sie die Köpfe einziehen, die Schultern beugen mußten, unter wulstigen Luftwurzeln, schenkeldicken Lianen. Dabei waren sie längst abgesessen, denn der Gang war so eng wie im Traum. Ein Schlauch aus Muskelästen, fleischigem Blattwerk, das ihnen bei jedem Schritt über Arme und Beine strich, weißlichen Schleim hinterlassend, der widerlich aussah und Pilzgeruch verströmte. Über ihnen, in kaum sechs Fuß Höhe, waren Zweige, Äste, Blattwerk so dicht ineinander verflochten, daß nur hier und dort ein Lichtstrahl in den Tunnel drang, in dem sich Ofenhitze staute, stickig, gänzlich unbewegt. Papageien zeterten in der Ferne, Spinnaffen tuschelten, im Dickicht verborgen, mit greisenhaft dünnen Stimmen, und das Sirren der Stechmücken, die mit Myriaden winziger Speere auf sie einstachen, erklang unwirklich laut, wie ein eintönig greller, niemals mehr endender Schrei. Taumelnd vor Atemnot und Hitze, mit der freien Hand unablässig Mücken verscheuchend, zog Robert sein Pferd hinter sich her. Drei Schritte vor ihm schob sich Stephens riesiger Rappe durch die Röhre, Äste und Dornenranken mit sich ziehend, die in Ungewissen Abständen zurückschnellten. Er warf einen Blick über die Schulter und stellte erleichtert fest, daß Paul noch immer halbwegs sicher auf seinem Pferd saß. Der Kranke war als einziger nicht abgesessen, er lag beinahe auf seiner Fuchsstute, so weit war sein Oberkörper vorgebeugt, doch mit instinktivem Geschick hielt er sich auf dem Pferdrücken, obwohl er kaum mehr bei Bewußtsein schien. Den Schluß ihres Zuges bildeten Mabo, der mit gleichmütiger Miene die beiden Pferde hinter sich herzog, und

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