Im Tempel des Regengottes
Ajkechtiim, der vor Angst fast außer sich schien, Mit weit aufgerissenen Augen sah der kleine Mayakrieger um sich, als erwarte er, daß im nächsten Moment ein leibhaftiger Jaguar aus dem Dickicht brechen würde.
Tatsächlich war dieser Gang eine perfekte Falle, dachte Robert. Eine Handvoll mit Äxten oder Speeren bewaffneter Männer genügten, um ihn von beiden Seiten abzuriegeln, und die Eingeschlossenen könnten sich nicht einmal mit ihren Feuerwaffen verteidigen, ohne in der verzweifelten Enge ihre eigenen Leute über den Haufen zu schießen. Er spürte, wie Anspannung und Angst von Ajkechtiim auf ihn überspringen wollten, und wandte sich rasch wieder nach vorn, zu Stephen und Miriam, die unbekümmert voranschritten, halb verdeckt von dem breiten Leib des Rappen. Dennoch sah er, wie sie sich immer wieder wie zufällig berührten, mit den Armen aneinander streiften, wie die schlanke Frau an Stephens Schulter Halt suchte oder Stephen ihr mit täppischer Galanterie über eine Wurzel hinweghalf. Ein Lichtstrahl drang durchs Dickicht, ihre Haarflut vergoldend, und auf einmal fiel Robert wieder ein, wie sie ihn angesehen hatte, vorgestern früh, als er aus dem Tempel Cha'acs zurückgekehrt war, im grauen Gewand des Regengottpriesters.
An der Seite des blinden Schamanen war er auf den Platz vor dem Langhaus getreten, wo Stephen und Miriam am Boden lagen, an Händen und Füßen gebunden und von einem Dutzend junger Mayakrieger bewacht. »Bindet sie los«, hatte er befohlen, und die Krieger hatten, nach einem Blick auf den Uralten, tatsächlich gehorcht. Von ihren Fesseln befreit, war Miriam länger als nötig liegengeblieben, zu seinen Füßen, auf dem schlammigen Boden, und ihr Blick war über ihn geglitten, über sein Gesicht, seine Gestalt, anerkennend, aber weit mehr als das: so intensiv, daß ihm heiß geworden war, als ob sie nicht mit Blicken, sondern mit ihren Händen über seine Haut gefahren wäre. Es war leicht zu erraten, wie Miriam Stephen für sich gewonnen ha tte, dachte er jetzt. Sie war eine hübsche Frau, auch wenn ihre bleiche Haut, das goldblonde Haar ihn allzusehr an Mary erinnerten, ganz im Gegensatz zu der jungen India, an die er niemals denken konnte, ohne einen Stich zu spüren, in der Gegend seines Herzens, und ein erhitzendes Ziehen, einige Handbreit tiefer. Keuchend kroch er durch den düsteren Gang, von Ästen gepeitscht, den Wallach hinter sich herziehend. Von beiden Seiten des Pfades drängten sich ihm die leuchtend grünen Blätter entgegen, weich wie Brüste, dachte er, nach Berührung gierend, und strichen ihm ihren Pilzschleim auf Arme und Beine. Miriam ist Mary, dachte er auf einmal, an der Flanke des Rappen vorbeispähend, nur mit einem schöneren Körper, gefälligeren Lächeln, leidenschaftlicheren Schenkeln. Für einen Moment war ihm tatsächlich, als ob dort vorne Mary ginge, an der Seite seines Vaters, der wie zufällig mit der Rechten über ihre Hinterbacken streifte, üppige Halbkugeln, unter der Nonnenkutte eher zu erahnen als wirklich zu sehen. Robert schlug nach den Mücken, und der Schweiß lief ihm über Brust und Bauch hinab, bis in den traditionellen Schurz, den Ajkech ihm vorgestern noch verschafft hatte, glücklicherweise. Als er abermals nach vorn spähte, war Miriam wieder Miriam, an Stephens Seite schreitend, und Robert dachte, daß sie nun sehr bald eine Rast einlegen mußten, sonst würde er einfach umfallen, zermürbt von Hitze und Durst.
Er hatte es kaum gedacht, als sich vor ihnen die Röhre auf eine Lichtung öffnete. Miriam und Stephen traten hinaus, er stolperte hinterher und blieb geblendet stehen. Nach der Enge und Düsternis des Pfades kam ihm der weite, sonnenüberflutete Platz ganz unwirklich vor. Die Lichtung war kreisrund, bei einem Durchmesser von hundert Schritten oder mehr, und in ihrer Mitte lag ein kleiner Teich, zur Hälfte mit Seerosen bedeckt. Ein leichter Windzug wehte zwischen den Bäumen und bewegte die Seerosenblätter, die ein flirrendes Muster auf den türkisfarbenen Wasserspiegel warfen.
Der Anblick war unwiderstehlich. Robert ließ den Zügel seines Wallachs fahren, ohne es recht zu bemerken, und ging wie magnetisch angezogen auf den See zu, immer noch taumelnd, im Kopf auf einmal einen sausenden Schwindel, der mit jedem Schritt stärker zu werden schien. Trinken, mich erfrischen, den pilzigen Schleim von der Haut waschen, dachte er. Am Ufer würde er sich einfach zu Boden fallen lassen und seinen Kopf ins Wasser tauchen, das
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