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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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Hügel, mit Gras und Buschwerk bedeckt. Zwei schlanke Palmen standen davor, wie Pfosten eines schmalen Tors, durch das die Jaguarpriester in diesem Moment mitsamt ihrer menschlichen Beute verschwanden. Die hinterste der bizarr bemalten Gestalten wandte sich, schon zwischen den Palmen, zu ihm um, mit einer halben Drehung ihres Oberkörpers, und Robert sah voller Verblüffung, daß es eine Frau war, mit mädchenhaften Brüsten, die, wie ihr Gesicht, ihr gesamter Leib, mit Jaguarflecken bemalt waren.
    Mit der Hand fuhr er sich über die Augen, aber es war kein Traum, keine Erscheinung. Noch immer verharrte sie dort, am Fuß des Hügels, und sah zu ihm hinüber, dann wandte sie sich um und verschwand zwischen den Palmen. Ein Zittern überlief ihn, doch er ging weiter und weiter, auf die beiden Palmen zu, hinter denen er nun ein klaffendes Loch in der Flanke des Hügels bemerkte.

5
     
     
    Hinter den Palmen öffnete sich ein enger Gang in den Hügel, so niedrig, daß Robert den Kopf einziehen mußte, und so schmal, daß er mit beiden Schultern gegen die Wände stieß. Zögernd schob er sich hinein, doch dann sah er wieder die junge Priesterin vor sich, ihren braungelb gescheckten Jaguarleib, und beschleunigte seinen Schritt. Indessen war er kaum einige Dutzend Fuß weit vorgedrungen, als der Gang nach einer scharfen Linkskehre in Finsternis versank.
    Mit tastenden Schritten ging Robert weiter. Seine Stiefel hatte er in Chul Ja' Mukal zurückgelassen, unter den nackten Fußsohlen spürte er nachgebenden Schlamm. Auch die Wände, über die seine Finger fuhren, schienen nicht gemauert, sondern aus rohem Felsgestein. Für einen Moment hatte er den Eindruck, nicht in einen versunkenen Tempel, sondern tatsächlich in eine Jaguarhöhle einzudringen, durch diesen niederen Gang, der für vierfüßig kriechende Bestien gemacht schien.
    Tiefer im Hügel vernahm er Flüche, Schreie, ein Rumpeln wie von Holz auf Stein. Ein Schrecken durchfuhr ihn. Stephen, dachte er, Miriam, und er reckte die Arme vor sich ins Dunkel und hastete weiter, so rasch, wie es Enge und Finsternis erlaubten. Endlos schien sich der Gang ins Innere des Bauwerks zu winden, um so qualvoller, als Robert nun eine schnelle Folge dumpfer Laute hörte, ein Klatschen und Plumpsen, als ob zwei, vier, fünf Körper aus einiger Höhe zu Boden stürzten. Dann erklang abermals jenes Schleifen und Rumpeln von Holz auf Stein. Er bog um eine weitere Kehre und sah eben noch, wie mehrere Gestalten, brennende Fackeln in den Händen, durch den Gang davoneilten, tiefer in das Bauwerk hinein.
    Ohne es recht zu bemerken, war er stehengeblieben. Nach dem kurzzeitigen Aufflackern der Fackeln schien es noch finsterer als zuvor. Wieder tastete er um sich, seine Hand fuhr über Fels und erfühlte schließlich eine Nische, in der eine mit Wachs bestrichene Fackel lehnte. Er zog sie hervor, tastete weiter in der Nische herum und fand an ihrem Boden eine Mulde, mit eingepaßtem Deckel, dessen Hitze den darunter verborgenen Inhalt verriet.
    Da ertönte zu seinen Füßen ein so verzweifeltes Stöhnen, daß ihm das Herz für einen Schlag aussetzte. O mein Gott, dachte er, Paul!, und ein wildes Schuldgefühl stieg in ihm auf. Mit bebenden Fingern entfernte er den Deckel und entzündete die Fackel an der Glut, die in der Mulde kokelte. Die Leuchte entflammte sich, den Gang mit flackerndem Licht erfüllend. Zugleich stieg ein ekelhafter Geruch empor wie von verwesendem Tierfell, der ihn in der Kehle würgte und seinen Kopf neuerlich mit Nebel füllte. Unter ihm erklang ein Seufzer, leiser, mit hellerer Stimme. Mabo, dachte er und senkte die Fackel zu seinen Füßen, wo ein roh gezimmertes Holzgitter in den Boden eingelassen war.
    Abermals spürte er eine drückende Schuld. Warum nur hatte er den Gefährten nicht berichtet, was er in Chul Ja' Mukal gesehen hatte, im unterirdischen Tempel Cha'acs? Wesha lb hatte er ihnen verschwiegen, daß sich dort, in der Felswand über dem Altar des rüsselnasigen Gottes, ein schaurig hergerichteter Totenschädel befand, der die Züge Youngboys trug? Bis heute hatte er Stephen oder Paul nicht einmal gefragt, ob jener Youngboy, der hagere Wirt der Mahogany Bar in Fort George, tatsächlich der Bruder (oder sogar Zwilling) von Oldboy sei, dabei gab es gar keine andere Erklärung: Die gräßlich aufgedunsene Totenfratze in der Altarwand Cha'acs mußte der sterbliche Überrest von Oldboy sein, der seinem Bruder so verblüffend ähnlich gesehen hatte wie er selbst,

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