Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual
Schlafs lag hinter ihm und seine Augen fühlten sich wund an.
Es war der gleiche Ort wie vorher, jedenfalls vermutete er das, da er das Gefühl hatte, in gleicher Position auf der gleichen Unterlage zu liegen. Aber etwas Entscheidendes fehlte diesmal. Was nur? Aus seinem Inneren war etwas verschwunden oder weggenommen worden, als fehlte ein schweres Gewicht. Etwas, das ihn angetrieben hatte bis zur totalen Erschöpfung, das ihm jeden vernünftigen Gedanken geraubt und das ihn mit weit aufgerissenen Augen durch die Gegend gejagt hatte.
Die Angst.
Diese erstickende, lähmende Angst, die ihn beherrscht hatte. Die zermürbende Allgegenwart einer Macht, die ihn zerstören wollte, war verschwunden. Und mit ihr diese grauenhafte Todesangst.
Nun fiel ihm auch wieder ein, was geschehen war, bevor er geschlafen hatte. Wie ein eisiger Strom kam die Erinnerung über ihn, als drängte sie durch Mund, Augen und Ohren in ihn ein. Er spürte wieder die Kälte und die Nässe, ein einziges schreckliches
Durcheinander von Bildern, und roch wieder diesen widerlichen Gestank nach vergammelten Blättern und modrigem Holz.
Zerkratzt und blutend war er seinem eigenen Ende entgegengetaumelt. Seine Lungen hatten gebrannt, seine Beine waren von Krämpfen gelähmt gewesen, doch nun fühlten sie sich einfach nur noch warm und müde an. Sein geschundener Körper war von Narben bedeckt, und jede einzelne Wunde erzählte ihm eine Geschichte, die er nicht noch einmal erleben wollte.
Malträtierte Gesichter tauchten vor seinem geistigen Auge auf. Hutch. Phil. Dom. Er sah die aufgehängten Leichen wieder oben in den Bäumen, Haut, Fleisch und Knochen. Dann erinnerte er sich an die schmalen Silhouetten der spärlichen Bäume, die vor dem rot flammenden Himmel standen. Und an etwas anderes. Es war dort zwischen den Bäumen, es gehörte zu ihnen und war gleichzeitig etwas anderes. Etwas Aufrechtes, das ihn beobachtete, dort drüben vor dieser außerirdisch wirkenden, fremdartig strahlenden Kulisse. Die jähe Erinnerung an einen Schlag gegen seinen Kopf, als würde ein Hammer gegen eine Porzellanvase geschmettert, durchzuckte seinen ganzen Körper. Sein eigener Schrei, den er in der Dunkelheit vernahm, irritierte ihn.
Aber nun war er gerettet und lag in einem Bett. Jemand hatte ihn gefunden und sich um ihn gekümmert. Sein Herz füllte sich bis zum Bersten mit Dankbarkeit.
Mit aller Kraft riss er die Augen auf und hatte das Gefühl, er zerrisse in seinem Kopf einen dünnen Stoff. Ein heftiger Schmerz folgte, der sich anfühlte wie ein dumpfer Schlag hinter seinen Augen. Dann noch einer und noch einer, aber die waren schwächer und leichter zu überstehen und ereigneten sich weiter innen in seinem Schädel.
Hier an diesem Ort seiner Rettung roch die Luft unsauber. Es erinnerte ihn irgendwie an alte Kleider in einem Secondhand-Laden.
Er spürte einen brennenden Durst, der von seiner geschwollenen Zunge bis hinab in die Magengrube reichte. Er öffnete die Lippen, die sich anfühlten, als wären sie aus trockenem Holz, und schmeckte den Verfall: feuchtes, verfaultes Holz, Schmutz, ein Bettlaken, das so tranig roch, dass es an ein Tier erinnerte.
Er spähte in das weiße undeutliche Etwas vor sich. Seine Augen bewegten sich hin und her, die Pupillen zogen sich zusammen und gingen wieder auf, fixierten erneut, und er erkannte das Gewebe eines Verbands. Eine dünne Schicht direkt vor seinen Augen, so nahe, dass er sie beinahe mit seinen Wimpern berührte. Er erinnerte sich undeutlich, dass er irgendwann verwundert bemerkt hatte, wie sein Kopf im Schlaf von sanften Händen hin und her bewegt wurde. Von Händen, die ihm helfen wollten und ihn beinahe aus den Tiefen seines Genesungsschlafs geholt hätten. Das war vor langer Zeit gewesen. Vor Wochen? Tagen?
Etwas Schweres und Dickes bedeckte seinen Körper von den Füßen bis zum Kinn. Unter dieser Decke war es warm und angenehm, sie roch bloß schlecht. Außerdem piekste ihn etwas, als wären da lauter kleine Nadeln. Die untere Seite seiner Oberschenkel schmerzte. Um seinen Brustkorb herum spürte er viele winzig kleine Wunden.
Zwischen seinen Schenkeln und unter seinem Hintern war das Bett nass. Dieser Umstand alarmierte ihn mehr als die Läuse oder Flöhe, die ihn bissen.
Er konzentrierte sich und bewegte seine Hüften, seine Beine, seine Füße, dann beugte er die Knie, schließlich die Ellbogen. Seinen Hals hielt er ruhig und bemühte sich, weiterhin gerade nach oben zu blicken, hinauf in den
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