Im Tod vereint - Divided in Death (18)
tun.«
»Warte.« Er trat vor seine eigene Kommode und riss eine der Schubladen auf. Er war nicht weniger wütend als sie und wünschte sich, er wüsste, weshalb die Vertrautheit, die sie noch vor wenigen Minuten miteinander verbunden hatte, plötzlich einem solchen Zorn gewichen war. Er nahm das kleine, gerahmte Foto, das
er in der Schublade verwahrte, trat damit vor Eve und drückte es ihr in die Hand.
Sie sah eine hübsche junge Frau mit rotem Haar und grünen Augen, kaum verheilten blauen Flecken im Gesicht und einem geschienten Finger an der Hand des Arms, auf dem ein kleiner Junge saß.
Der wunderhübsche kleine Junge mit den keltischen blauen Augen hatte eine Wange an ihr Gesicht gedrückt. An das Gesicht von seiner Mum.
Roarke und seine Mutter.
»Für sie konnte ich nichts tun. Hätte ich gewusst … Aber ich habe nichts gewusst, und bevor ich alt genug war, um mir einprägen zu können, wie sie ausgesehen hat, war sie bereits tot. Ich konnte ihr noch nicht mal versichern, dass ich sie nicht vergesse.«
»Ich weiß, wie schmerzlich der Gedanke für dich ist.«
»Darum geht es nicht. Sie wussten über ihn Bescheid. Die HSO, Interpol, sämtliche Geheimdienste wussten über Patrick Roarke lange vor seiner Reise nach Dallas und vor seinem Treffen mit Richard Troy Bescheid. Aber sie, die Frau, die mich geboren hat, die Frau, die er ermordet und in den Fluss geschmissen hat, hatte nicht mal eine Randnotiz in ihren Dossiers verdient. Sie war ein Nichts für sie, genau wie ein kleines, hilfloses Kind in Dallas ein Nichts für sie gewesen ist.«
Sie trauerte um ihn, um sich selbst und um die Frau, die sie nie getroffen hatte. »Du konntest sie nicht retten und das tut mir leid. Dass du auch mich nicht retten konntest, tut mir allerdings nicht im Geringsten leid. Ich bin ziemlich gut darin, mich selbst zu retten. Aber ich werde nicht mehr mit dir darüber streiten, weil uns
das nicht weiterbringt und weil sonst unsere Arbeit noch länger liegen bleibt.«
Sie stellte das Bild auf die Kommode. »Du solltest es dort stehen lassen. Sie war wunderschön.«
Doch als Eve den Raum verließ, legte er das Foto an seinen Platz zurück. Es war einfach immer noch zu schmerzlich, sich das Bild von seiner Mutter allzu lange anzusehen.
Sie gingen einander aus dem Weg, fuhren bis spätnachts in getrennten Räumen mit ihrer Arbeit fort, und als sie sich schließlich schlafen legten, bemühten sie sich, die Lücke in dem breiten Bett nicht zu schließen, die es zum ersten Mal zwischen ihnen beiden gab. Auch am nächsten Morgen wichen sie einander weiter aus und bewegten sich mit vorsichtigen Schritten, falls einer von ihnen aus Versehen in das Territorium des jeweils anderen geriet.
Ihr war bewusst, dass Reva Ewing und auch Tokimoto inzwischen angekommen waren, doch sie überließ die beiden Feeney und wartete in ihrem eigenen Arbeitszimmer auf Peabody und McNab.
Sie konnte sich auf ihre Arbeit konzentrieren, Wahrscheinlichkeitsberechnungen anstellen und sämtliche Daten noch mal durchgehen. Sie konnte die Fotos an der Pinnwand umsortieren, die Verbrechen, die Motive, die Methoden anhand der bisherigen Beweise neu sortieren und bekäme dann vielleicht ein neues Bild.
Doch sie brauchte nur den Blick zu wenden und schon formte sich ein völlig anderes Bild in ihrem Kopf.
Auch wenn ihre Konzentration für einige Sekunden nachließ, sah sie dieses andere Bild. Ein Bild von sich
und Roarke, die auf zwei verschiedenen Seiten eines Abgrunds standen, der unüberwindbar war.
Sie hasste es, wenn ihr Privatleben sich mit der Arbeit mischte. Hasste es noch mehr, dass sie nicht verhindern konnte, an ihr Privatleben zu denken, solange dieser Fall nicht abgeschlossen war.
Worüber regte sie sich eigentlich so furchtbar auf?, überlegte sie, während sie sich die x-te Tasse Kaffee holen ging. Darüber, dass Roarke irgendeinen HSO-Agenten jagen und fertigmachen wollte, den sie noch nicht mal kannte? Darüber war zwischen ihnen beiden ein heißer Kampf entbrannt, und dass sie sich nicht anschrien, bedeutete noch lange nicht, dass der Kampf beendet war.
So viel hatte sie inzwischen über das Eheleben gelernt.
Sie kämpften miteinander, weil er wie ein gefangener Tiger darüber zürnte, was ihr als kleinem Mädchen angetan worden war. Und weil dieser Tiger seine Krallen und die Zähne wetzte, weil auch seine Mutter ein unschuldiges Opfer gewesen war.
Vernachlässigung, Brutalität, nackte Gewalt. Sie hatten beide jahrelang darunter
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