Im Tod vereint - Divided in Death (18)
verstehen kann, wie es Ihnen als Kind gegangen ist. Was für ein Gefühl es ist, sich daran zu erinnern, dass man von seinem eigenen Vater vergewaltigt worden ist.«
»Dadurch haben Sie mich geöffnet. Sie haben Ihre Arbeit also erfolgreich ausgeführt.«
Mira hob verblüfft die Hände. »Eve?«
»Anfang dieses Sommers haben Sie bei uns auf der Terrasse gesessen, ein Glas Wein getrunken und sich etwas entspannt. Es war ein netter Augenblick. Ich hatte Ihnen gerade von Mavis’ Schwangerschaft erzählt, darauf haben Sie begonnen, von Ihrer eigenen Familie zu erzählen. Von der langen, glücklichen Ehe Ihrer Eltern, von all den schönen Erinnerungen an die damalige Zeit.«
»Ah.« Mit einem leisen Lachen nahm Mira wieder
Platz. »Und das macht Ihnen seither zu schaffen. Warum haben Sie mir nie etwas davon gesagt?«
»Ich hatte keine Ahnung, wie ich Ihnen sagen sollte, dass Sie mich belogen haben … und vor allem, was hätte uns beiden das schon genützt? Schließlich haben Sie nur Ihren Job gemacht.«
»Ich habe nicht nur meinen Job gemacht, und ich habe Sie vor allem ganz sicher nicht belogen. Aber ich kann sehr gut verstehen, weshalb Sie dachten, dass ich Sie belogen habe, und dass das kein schönes Gefühl für Sie gewesen ist. Bitte hören Sie mir zu. Bitte.«
Eve kämpfte gegen das Verlangen auf ihre Uhr zu sehen. »Also gut.«
»Als ich noch ein junges Mädchen war, ging die Ehe meiner Eltern in die Brüche. Ich weiß nicht, warum, weiß nur, dass es irgendein grundlegendes Problem zwischen den beiden gab, das sich einfach nicht lösen ließ. Sie haben sich immer weiter voneinander entfernt und schließlich die Scheidung eingereicht.«
»Aber Sie haben gesagt -«
»Ich weiß. Es war eine schwere Zeit für mich. Ich war wütend, verletzt und unglaublich verwirrt. Und wie die meisten Kinder habe ich nur mich selbst gesehen. Deshalb dachte ich natürlich, es wäre meine Schuld. Das hat mich noch wütender gemacht. Meine Mutter war und ist noch immer eine sehr vitale, ungeheuer attraktive Frau. Sie war relativ vermögend und hatte einen wirklich guten Job. Trotzdem war sie todunglücklich und hat versucht, ihr Unglück dadurch zu verdrängen, dass sie sich die ganze Zeit mit anderen Leuten umgeben hat und möglichst Tag und Nacht beschäftigt war. Mütter und Töchter haben manchmal die unglückliche
Neigung, ständig miteinander zu streiten, vor allem, wenn sie sich sehr ähnlich sind. Wir waren einander ungeheuer ähnlich und haben damals die ganze Zeit gezankt.
Während dieser schwierigen, von Streit geprägten Zeit hat sie jemanden kennen gelernt.« Miras Stimme bekam einen leicht angespannten Klang. »Einen charmanten, netten, aufmerksamen, attraktiven Mann. Er hat sie mit Blumen und Geschenken überhäuft und hatte vor allem jede Menge Zeit. Sie hat ihn aus einem Impuls heraus nicht einmal vier Monate nach der Scheidung von meinem Vater geheiratet.«
Mira stand auf, trat vor den Couchtisch und nahm die Kaffeekanne in die Hand. »Ich sollte keine zweite Tasse Kaffee trinken, wenn ich heute Nacht auch nur ein Auge zubekommen will, aber …«
»Sie brauchen mir nichts weiter zu erzählen. Ich kann mir bereits denken, wie es weiterging. Es tut mir leid.«
»Lassen Sie mich trotzdem zu Ende erzählen, ja? Auch wenn ich eine lange Geschichte um unser beider willen stark verkürze.« Sie stellte die Kaffeekanne wieder fort und strich mit ihren Fingern über das Stiefmütterchendekor auf dem weißen Porzellan.
»Als er mich zum ersten Mal berührt hat, war ich total schockiert. Und gleichzeitig empört. Er hat mich davor gewarnt, dass sie mir nie im Leben glauben und dass er dafür sorgen würde, dass sie mich in eine Erziehungsanstalt steckt. Ich war damals etwas schwierig oder vielleicht eher rebellisch.« Lächelnd nahm sie wieder Platz. »Darauf will ich jetzt nicht näher eingehen. Es genügt zu sagen, dass meine Mutter und ich zu jener Zeit fürchterliche Schwierigkeiten miteinander hatten,
und dass er wirklich überzeugend war. Ich war jung, fühlte mich völlig machtlos und hatte eine Heidenangst. Sie verstehen?«
»Ich verstehe.«
»Sie ist damals ziemlich viel gereist. Ich glaube - tja, später kam heraus, dass ihr klar geworden war, dass die Heirat mit dem Kerl ein Fehler war. Aber sie hatte bereits eine gescheiterte Ehe hinter sich und war deshalb nicht bereit, einfach aufzugeben, wenn vielleicht noch irgendwas zu retten war. Sie hat sich eine Zeitlang ganz auf ihre Arbeit konzentriert,
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