Im Todesnebel
gekommen, um das melancholische Gerede eines alten Mannes zu hören. Was kann ich also für dich tun?«
»Du könntest mir etwas über ein Seegebiet erzählen, das man Pacific Vortex nennt.«
Papaaloas Augen wurden schmal. »Pacific Vor… ah ja, ich weiß, was du meinst.«
Einen Augenblick sah er Pitt nachdenklich an, dann sprach er leise, fast nur noch flüsternd, weiter: »A ka makani hema pa Ka Mauna o Kanoli Ikea A kanaka ke kauahiwi hoopii.«
»Das Hawaiianische ist eine sehr melodiöse Sprache«, sagte Pitt.
Papaaloa nickte. »Das kommt daher, daß es nur sieben Konsonanten hat:
h, k, l, m, n, p
und
w
.
Jede Silbe darf nur einen davon enthalten. Übersetzt lautet das Gedicht:
Wenn der Südwind weht, Ist der Berg von Kanoli zu sehen, Und auf seinem Gipfel scheinen Menschen zu stehen!«
»Kanoli?« fragte Pitt.
»Eine Insel, von der unsere Mythen sagen, daß sie einmal im Norden des Inselreiches gelegen hätte. Vor vielen Jahrhunderten, so erzählt die Legende, verließ eine Sippe eine Insel weit im Südwesten, vielleicht Tahiti, und fuhr mit einem großen Kanu über den Ozean, um sich anderen Stammesangehörigen anzuschließen, die Dekaden zuvor nach Hawaii ausgewandert waren. Doch die Götter erfüllte es mit Zorn, daß die Menschen ihr Heimatland im Stich ließen, und so veränderten sie die Stellung der Sterne am Himmel, was schließlich dazu führte, daß der Navigator des großen Kanus einem falschen Kurs folgte. Das Boot fuhr viele Kilometer nördlich an Hawaii vorbei, bis die Menschen an Bord schließlich eine Insel entdeckten, an der sie landeten. Es war Kanoli. Die Götter hatten die Menschen wahrhaft gestraft, denn Kanoli war eine öde und unfruchtbare Insel, auf der es nur wenige Kokosnußpalmen, Fruchtbäume und Taropflanzen gab und überhaupt kein kühles reines Flußwasser. Die Menschen wurden von Verzweiflung ergriffen, sie brachten ihren Göttern Opfer dar und flehten sie um Vergebung an. Doch als ihre Bitten nicht erhört wurden, wandten sich die Menschen von ihren grausamen Göttern ab. Sie arbeiteten unermüdlich und unter den schlimmsten Bedingungen, die nur denkbar sind, um Kanoli in einen Garten zu verwandeln. Viele hielten der Herausforderung nicht stand und starben. Aber nach nur wenigen Generationen hatten die Bewohner von Kanoli aus dem Vulkangestein der Insel eine blühende Zivilisation geschaffen. Und im Stolz auf das, was sie vollbracht hatten, erklärten sie sich selbst zu Göttern.«
»Das klingt ja beinahe wie die Geschichte unserer Pilgerväter, Quäker oder Mormonen«, sagte Pitt.
Papaaloa stieß einen langen Seufzer aus. »Aber eben doch nur beinahe. Dein Volk hat sich die Religion als Stütze bewahrt, an die es sich in schweren Stunden lehnen kann. Die Einwohner von Kanoli dagegen setzten sich über die Götter, die sie einmal verehrt hatten. Denn war es ihnen nicht gelungen, ein Paradies zu errichten, und zwar ohne göttliche Hilfe? Hatten sie damit nicht die Grenzen, die den Sterblichen gesetzt sind, hinter sich gelassen? Mordend und plündernd fielen sie über Kauai, Oahu, Hawaii und die anderen Inseln her, die schönsten Frauen raubten sie sich als Sklavinnen. Die primitiveren Hawaiianer waren den Einwohnern von Kanoli hilflos ausgeliefert. Was sollten sie auch ausrichten gegen Menschen, die rücksichtslos wie Götter handelten und kämpften? So setzten sie alle Hoffnung auf ihre eigenen Gottheiten. Sie flehten um Erlösung von ihrem Leiden – und wurden erhört. Die Götter der Hawaiianer ließen das Meer so hoch ansteigen, daß es die teuflischen Bewohner Kanolis für immer verschlang.«
»In der abendländischen Kultur gibt es eine ähnliche Legende, in der ebenfalls von einer Insel berichtet wird, die im Meer versinkt. Sie hieß Atlantis.«
»O ja, ich habe darüber gelesen. Platon beschreibt die Insel sehr romantisch in seinem
Kritias
.«
»Ich habe fast den Eindruck, daß du dich nicht nur in den hawaiianischen Mythen und Legenden sehr gut auskennst.«
Papaaloa lächelte. »Legenden sind wie die Knotenpunkte eines Netzes, von einem findet man zum nächsten. Ich könnte dir Geschichten und Sagen erzählen, die man in den entferntesten Winkeln der Erde von Generation zu Generation über Jahrhunderte aufbewahrt hat und die sehr viel Ähnlichkeit mit den Berichten der Bibel haben. Nur daß sie eben lange vor der Heiligen Schrift der Christen entstanden sind.«
»Alte und auch moderne Propheten behaupten, daß Atlant is eines Tages wieder aus den Fluten
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