Im Todesnebel
können, was er sich eigentlich erhoffte, aber nachdem er nun einmal die vier Kilometer gefahren war, konnte er die Sache auch zu Ende verfolgen. Er lenkte den Wagen über das rote vulkanische Schottergestein, das die Straße begrenzte, parkte den Ford Cobra und stieg aus. Nach wenigen Schritten kam er an einem kleinen Schild vorüber mit der Aufschrift:
BERNICE PAUAHI BISHOP MUSEUM FÜR POLYNESISCHE ETHNOLOGIE UND NATURGESCHICHTE.
In der Haupthalle mit den umlaufenden Balkonen in den oberen Etagen standen dicht an dicht hervorrage nd erhaltene Zeugnisse der Lebensverhältnisse der Ureinwohner des Inselreiches: Auslegerkanus, präparierte Fische und Vögel, Nachbauten primitiver Grashütten und sonderbare, furchteinflößende Schnitzereien alter hawaiianischer Götter.
Dann fiel Pitts Blick auf einen großen weißhaarigen Mann mit stolzer, aufrechter Körperhaltung, der vor einer Glasvitrine stand und eine Muschelsammlung neu arrangierte. George Papaaloa hatte die Züge eines eingeborenen Hawaiianers, das breite braune Gesicht, ein hervorspringendes Kinn, volle Lippen, braune undurchdringliche Augen, und er verstand es, sich mit müheloser Grazie zu bewegen. Papaaloa sah auf, erkannte Pitt und winkte ihm freundlich zu.
»Ah, Dirk, es ist immer ein besonderer Tag, wenn du mich besuchen kommst. Laß uns in mein Büro gehen.«
Pitt folgte ihm in einen spartanisch eingerichteten Raum. Die Möbel waren alt, aber gut gepflegt und glänzten wie frisch poliert. Und auch auf den Büchern in den wandhohen Regalen war kein Staubkorn zu entdecken. Papaaloa setzte sich hinter seinen Schreibtisch und nötigte Pitt auf eine viktorianische Polsterbank.
»Und jetzt, lieber Freund, erzähle mir bitte, ob du endlich die letzte Ruhestätte von König Kamehameha gefunden hast?«
Pitt lehnte sich zurück. »Fast die ganze letzte Woche habe ich vor der Küste von Kailua-Kona getaucht, aber ich habe nichts gefunden, was einer Grabhöhle auch nur im entferntesten geähnelt hätte.«
»Und doch behaupteten unsere Legenden, daß der König in einer Gruft, die unter Wasser liegt, zur letzten Ruhe gebettet worden ist. Vielleicht liegt sie auch in einem der Flüsse.«
»Aber George, du weißt besser als ich, daß eure Flüsse während der Trockenzeit eher kahlen Schluchten gleichen.«
Papaaloa zuckte die Achseln. »Dann ist es wohl besser, wenn das Grab niemals gefunden wird und der König in Frieden ruhen kann.«
»Aber niemand will die letzte Ruhe eures Königs stören. Schließlich geht es nicht um irgendeinen Schatz. Doch das Grab von Kamehameha dem Großen wäre ein bedeutender archäologischer Fund. Nicht mehr und nicht weniger. Und statt in einer feuchtnassen Höhle könnten seine sterblichen Überreste dann in einem würdigen Grab in Honolulu verwahrt werden, wo jeder Inselbewohner die Möglichkeit hätte, diesen bedeutenden Vorfahren seine Ehrerbietung zu erweisen.«
Papaaloas Blick hatte sich verdüstert. »Ich bin mir gar nicht einmal sicher, ob es unserem großen König besonders gefallen würde, von euch
Haoles
angestarrt zu werden.«
»Ich denke schon, daß er die Blicke von uns kontinentalen
Haoles
noch ertragen würde, wenn er erst einmal wüßte, daß achtzig Prozent seines ehemaligen Königreiches heute von Asiaten bewohnt werden.«
»Traurig, aber leider wahr. Was die Japaner in den vierziger Jahren mit ihren Bomben nicht geschafft haben, nämlich unser Land in ihren Besitz zu bringen, das haben sie in den siebziger und achtziger Jahren mit Bargeld geschafft. Es würde mich nicht einmal mehr besonders wundern, wenn ich eines Tages aufwachte und über dem Iolani-Palast die weiße Fahne mit der roten Sonne im Passatwind flattern sehen würde.« Papaaloa starrte Pitt mit ausdruckslosem Gesicht an. »Meinem Volk bleibt nicht mehr viel Zeit. Vielleicht noch zwei, drei Generationen, dann werden wir vollkommen in die anderen Rassen aufgegangen sein. Mit mir stirbt auch mein Vermächtnis, ich bin der Letzte in meiner Familie, in dessen Adern reines hawaiianisches Blut fließt.« Er machte eine weitausholende Geste mit dem rechten Arm. »Deshalb habe ich mir das hier zur Lebensaufgabe gemacht, die Kultur einer untergehenden Rasse für alle Zeit aufzubewahren, die Kultur meiner Rasse.«
Er schwieg eine Zeitlang, und sein Blick wanderte zum Fenster, durch das in einiger Entfernung die Koolau-Berge zu sehen waren. »Je älter ich werde, desto öfter wandern meine Gedanken zurück in die Vergangenheit. Aber du bist nicht
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