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Im Totengarten (German Edition)

Im Totengarten (German Edition)

Titel: Im Totengarten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Rhodes
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waren sie im Verlauf der Zeit zu schmalen, silbrig-weißen Narben von jeweils ein paar Zentimetern Durchmesser verblasst, aber trotzdem nicht zu übersehen. Ich sah aus dem Fenster, während Burns das Mädchen tröstete. Wie oft hatte Ray Benson sein grässliches Markenzeichen wohl in ihre Haut geritzt? Es war mir unmöglich, mir vorzustellen, wie sie sich gefühlt hatte, als sie splitternackt und von unzähligen Wunden übersät aus ihrem Verlies gezogen worden war.

17
    Lola war am Morgen nirgendwo zu sehen, doch die Tür des Gästezimmers war geschlossen, und die Federn der Matratze ihres Bettes ächzten laut, als ich den Flur hinunterging. Vielleicht war ja Lars inzwischen bei uns eingezogen, ohne dass mir jemand Bescheid gegeben hatte. Ich füllte ein Glas mit Apfelsaft und blickte aus dem Fenster auf Wills Bus. Er war immer noch in eine riesengroße weiße Plane eingehüllt. Offenbar hatten die Spurensicherer den Vortag damit zugebracht, einen Berg Schmutzwäsche und einen Haufen ausgelatschter Schuhe zu durchsuchen, und waren auf der Jagd nach irgendwelchen Drogen unter den Sitzen abgetaucht. Hoffentlich war er jetzt irgendwo in Sicherheit, vielleicht bei seinem geheimnisvollen Freund.
    Ich zog meinen Jogginganzug an und versuchte zu entscheiden, welcher Weg der beste war. Entweder ich drehte ein paar Runden durch den Southwark Park, oder ich lief den langen, geraden Weg bis zur Blackfriars Bridge, während die Stadt noch schlief. Wie meistens gewann auch dieses Mal der Fluss, doch kaum lief ich über den Platz vor meinem Haus, als jemand nach mir rief.
    »Wo wollen Sie hin?« Alvarez stieg aus seinem Wagen und starrte mich böse an.
    »Wonach sieht’s denn aus?«
    »Ich fürchte, dass ich Sie augenblicklich nicht alleine joggen lassen kann.«
    »Ich jogge nicht, ich laufe.«
    »Das macht keinen Unterschied.«
    »Ihre Position scheint Ihnen ganz schön zu Kopf gestiegen zu sein.«
    Er antwortete nicht. Sein Gesicht war wie gewöhnlich völlig ausdruckslos, doch der Blick aus seinen schwarzen Augen lag auf meinem Mund, und ganz kurz schoss mir der Gedanke durch den Kopf, ihn in meine Wohnung einzuladen, um mich dort auf andere Weise sportlich zu betätigen.
    »Sie stehen unter Polizeischutz«, klärte er mich schließlich auf. »Aber wir können nicht für Ihre Sicherheit garantieren, wenn Sie alleine laufen gehen.«
    »Dann kommen Sie doch einfach mit.«
    »Nicht in diesem Anzug.« Es zuckte um seine Mundwinkel herum, als versuchte er zu lächeln, ohne dass es ihm gelang. »Aber vielleicht ein andermal.«
    Ohne ein Wort des Abschieds machte ich auf dem Absatz kehrt. Alvarez hatte eindeutig den perfekten Job für sich gefunden, dachte ich erbost. Er gestattete ihm, arrogant, unhöflich und dominant zu sein.
    Erfüllt von leisem Zorn, trank ich eine Tasse Kaffee und zerrte dann mein Rad durchs Treppenhaus. Sofort lenkte der DS seinen Wagen auf die Straße und nahm die Verfolgung auf. Auf dem Weg die Tooley Street hinab fühlte ich mich wie bei dem Katz-und-Maus-Spiel, das Will mir im Garten beigebracht hatte, als wir noch klein gewesen waren. Er war immer die Katze gewesen, hatte sich hinter einem Baum versteckt, so lange dort ausgeharrt, bis ich vergessen hatte, dass er dort verborgen war, und mir dann einen Riesenschrecken eingejagt.
    Im Krankenhaus nahm ich meinen Bewacher aus den Augenwinkeln wahr, während ich mich kurz mit einer Krankenschwester aus der fünften Etage unterhielt. Statt mich endlich in Ruhe zu lassen, hatte er sich breitschultrig und angriffslustig direkt neben dem Eingang aufgebaut. Also machte ich einen Sprint durchs Treppenhaus, wodurch ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlug. Einerseits verschaffte das Gerenne mir die nötige Bewegung, und andererseits blieb dieser blöde Kerl bereits nach kurzer Zeit weit hinter mir zurück.
    Es war acht Uhr, als ich an meinem Schreibtisch saß, und so hatte ich noch eine Stunde Zeit, um die zweihundertneun neuen E-Mails durchzugehen. Das Löschen der diversen Schreiben, die mich daran erinnern sollten, die Abonnements für diverse Fachzeitschriften zu verlängern, ging ganz schnell. Sie könnten mir ja einfach auf dem Postweg eine Rechnung schicken, wenn sie auf mein Geld so dringend angewiesen waren. Als Nächstes löschte ich sämtliche Nachrichten, die nur zu Informationszwecken an mich weitergeleitet worden waren, meistens, weil jemand auf Nummer sicher gehen wollte für den Fall, dass eine Diagnose grundverkehrt gewesen war.
    Vierzig Minuten

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