Im Totengarten (German Edition)
Menge Mädchen dazu überredet hat, ihm Geld für die Eröffnung einer eigenen Bar zu leihen. Eine Frau hat dafür sogar ihr Haus beliehen. Ich kann einfach nicht glauben, dass ich tatsächlich auf einen solchen Kerl hereingefallen bin. Verdammt, auf einen Trickbetrüger. So dämlich kann man doch wohl gar nicht sein.« Tränen rannen über ihre Wangen und bildeten eine kleine Pfütze auf der Decke meines Bettes.
»Aber hat er dich je um Geld gebeten?«
Sie schüttelte stumm den Kopf.
»Da siehst du’s. Du warst nämlich die Ausnahme. In dich hat er sich tatsächlich verliebt.«
Sie schnäuzte sich in eine der Hotelservietten und bedachte mich mit einem unglücklichen Blick. »Vielleicht wollte er ja einfach warten, bis sich die Gelegenheit dazu ergibt, mich anzupumpen, und hat sich bis dahin mit mir amüsiert.«
»Nie im Leben«, protestierte ich. »Er war total verrückt nach dir.«
Nach zwei weiteren Gläsern Wein hellte sich Lolas Stimmung langsam auf. »Wenigstens habe ich mit ihm den besten Sex der Welt erlebt.«
»Und das ist ja wohl auch was wert.«
Sie stieß einen wohligen Seufzer aus. »Gott, ja.«
»Und wie war überhaupt dein Vortanzen?«
Sie starrte mich verwundert an. »Habe ich dir das etwa noch nicht erzählt? Sie waren hin und weg von mir. Ich fange Freitagabend an.«
»Das ist ja phantastisch. Und in welchem Stück?«
» Chicago. Ich bin in der Tanzgruppe. Da spiele ich nicht gerade die Hauptrolle, aber das Musical läuft eine halbe Ewigkeit, und durch das ständige Gehopse nehme ich ja vielleicht endlich mal ein bisschen ab.« Sie sah an sich herab und inspizierte ihren imaginären Rettungsring.
Lola blieb bis kurz nach elf. Sie lungerte in einem Nest aus Kissen, die sie von den Stühlen des Hotels gestohlen hatte, gemütlich auf meinem Bett, und bis sie schließlich ging, wusste ich genauestens über Lars’ Künste als Liebhaber, das Vortanzen und die riesige Freude ihrer Mutter, weil die Tochter bald in einer West End Show zu sehen wäre, Bescheid. Anscheinend hatte sie total vergessen, dass man mich zu meinem eigenen Schutz gefangen hielt, weil mir eventuell ein Mörder auf den Fersen war.
»Craig lässt mich vorübergehend bei sich auf dem Sofa schlafen. Er ist wirklich supersüß, aber trotzdem wär ich lieber bei dir. Wann lassen sie dich überhaupt wieder hier raus?«
»Keine Ahnung.«
»Auf jeden Fall lassen wir eine Riesenparty steigen, wenn du wieder nach Hause kommst.« Da sie wie gewöhnlich drei Viertel des Rotweins allein getrunken hatte, stand sie schwankend auf. »Aber jetzt muss ich allmählich los. Weil schließlich morgen die große Probe ist. Und denk dran, halt dich von diesem spanischen Bastard fern. Wechsel am besten die Straßenseite, wenn du ihn irgendwo siehst. Weil er nämlich ein totales Arschloch ist.«
»Okay.« Ich biss mir auf die Lippe, denn dies war sicher nicht der beste Augenblick, um ihr zu erzählen, was zwischen mir und diesem Arschloch lief.
Vielleicht lag es am Wein, dass ich einfach nicht zur Ruhe kam. Nachdem ich das Licht ausgemacht hatte, warfen die Wände meine Gedanken zurück, als wäre ich wieder in St. Pauls, und ich hatte das Gefühl, als hallten meine Ängste hörbar durch den stillen Raum. Wenn Will unschuldig war, warum hatten dann die beiden ermordeten Frauen Zeit in seinem Bus verbracht? Ich stellte mir meine Mutter vor, die mir mit dem Zeigefinger drohte und mir Vorhaltungen machte, weil es mir eindeutig nicht gelungen war, ihn vor Schaden zu bewahren. Und auch Michelle tauchte vor meinem inneren Auge auf. Es fiel mir schwer, zu glauben, dass die Frau noch keine dreißig war. Sie sah locker zehn bis fünfzehn Jahre älter aus, denn durch die diversen Drogen, die sie nahm, alterte sie offenbar im Schnelldurchlauf.
Schließlich fielen mir die Augen zu, aber ich schlief unruhig, wachte um halb sieben bereits wieder auf und atmete keuchend aus und ein. Ich sehnte mich verzweifelt nach der Stadtluft draußen vor dem Fenster, die vielleicht verschmutzt, aber zumindest nicht mehrfach wiederaufbereitet worden war.
Ich fischte in meiner Tasche nach der Aufnahme aus dem Archiv. Früher oder später würde ich den Diebstahl beichten oder das Foto unauffällig wieder in den Ordner legen müssen, wenn mal niemand in der Nähe war. Warum, zum Teufel, hatte ich es überhaupt erst eingesteckt? Vielleicht hatte ich auf diese Art versucht, Will dem Benson’schen Dunstkreis zu entziehen.
Die Bewohner hatten eine einzige Gemeinsamkeit
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