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Im Tunnel: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Im Tunnel: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Titel: Im Tunnel: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Antonow
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Kolonialzeit empfunden, wenn sie unbekanntes Land betraten. Denn nicht nur Habgier und der Glanz des Goldes trieben sie an. Was macht es für einen Sinn, immer am selben Fleck zu bleiben? Das Leben der Daheimhocker vergeht doppelt so schnell.

6
    VORLESUNG MIT FORTSETZUNG
    Nikita kletterte als Erster den Bahnsteig hinauf. Obwohl keine Leiter als Steighilfe da war, meisterte er die Übung erstaunlich behände . A uf die Kante gestützt wuchtete er seine üppigen Fettreserven empor und landete fast leichtfüßig auf dem grauen Granit . Von der Tollpatschigkeit, die er zuletzt an den Tag gelegt hatte, war nichts mehr zu spüren. Mit dem Lächeln eines gastfreundlichen Hausherrn stand er dort oben und wartete auf den Rest der Mannschaft.
    Nikitas Erscheinen wurde sogleich bemerkt. Ein quirliges Männchen in Zivil eilte herbei und begrüßte ihn mit einem herzlichen Händedruck.
    Der Mann war offenbar ein Untergebener von Nikita. Nachdem er die Anweisungen des Dicken entgegengenommen hatte, nickte er so heftig mit dem Kopf, als ob er ihn abwerfen wollte. Dann wuselte er davon, um die Befehle auszuführen. Leider hatte Tolik kein Wort verstanden. Mit einer Geste forderte Nikita den Trupp auf, ihm zu folgen, und führte ihn durch den Durchgangstunnel zum Prospekt Marxa hinüber.
    Hier marschierten sie an massiven Doppelsäulen entlang, die mit Propagandaplakaten bepflastert waren. Man sah sofort, dass hier, wie an der Guljaipole , Menschen lebten, die an Ideale glaubten. Die Wand hinter einem der Gleise nahm fast vollständig eine Parole ein . A uf weißen Plastikquadraten, die an den Kacheln fixiert waren, stand in roter Farbe »Ruhm der Kommunistischen Partei der Metro!«.
    An sinnfälliger Propaganda jeglicher Art mangelte es auch an der Guljaipole nicht, doch hier am Prospekt Marxa wirkte alles solider und monumentaler. Mit der ideologisch geprägten Aufmachung hatte Tolik gerechnet, trotzdem überraschten ihn die ersten Eindrücke von der Station . A lles, was er über die Roten wusste, sei es aus alten Büchern über die früheren Kommunisten, sei es aus den hitzigen Versammlungen der Anarchisten, hatte sich in Toliks Kopf zu einem betonierten Klischee verfestigt. Er stellte sich die Kommunisten als wahre Zombies und Roboter vor, die ausschließlich in Parolen sprachen, sich von Idealen ernährten und bereit waren, sich die Hände, Beine und sonst was abzuhacken, wenn es nur ihren ideologischen Zielen diente.
    Während Tolik über den Bahnsteig schlenderte, krachte dieses Klischee wie ein Kartenhaus zusammen. Hier brodelte das Leben. Echtes Leben. Kein leidenschaftsloses Funktionieren programmierter Maschinenmenschen.
    Der Prospekt Marxa war eine sehr saubere Station. Es herrschte jedoch keine sterile Sauberkeit wie an der Belorusskaja , wo sich das Putzpersonal auf jede weggeworfene Zigarettenkippe stürzte. Hier war die Reinlichkeit kein Selbstzweck, sondern eine vernünftige Hygienemaßnahme.
    Die Stationswände waren mit weißem Marmor verkleidet, die Gewölbedecke mit eingelassenen Quadraten verziert. Letzteres diente vermutlich dem Zweck, den Eindruck der Schwere zu mildern, den so ein mächtiges Gewölbe hervorrief. Wasserflecken waren nirgends zu sehen. Die Deckenlampen verströmten ein angenehmes Licht, das nicht blendete, aber auch in den hintersten Winkeln für ausreichende Helligkeit sorgte.
    Am Prospekt Marxa herrschte eine ganz besondere At mosphäre. Ein Geist von Einheit und Geschlossenheit. Man hatte nicht das Gefühl, in einen chaotischen Ameisenhaufen geraten zu sein, wie das an den Handelsstationen im Umfeld der Hanse der Fall war. Die Leute folgten hier einer gewissen Ordnung oder, besser gesagt, einem gemeinsamen Plan. Und Tolik hatte keineswegs den Eindruck, dass hier alle unter der Knute standen, wie die anarchistischen Ideologen ihm das eingetrichtert hatten.
    Vor einer der Säulen stand eine Gruppe junger Leute, die über eine dort aufgehängte Wandzeitung diskutierten. Im Vorbeigehen konnte Tolik die Schlagzeile lesen: »Genosse Moskwin mahnt zur Wachsamkeit.«
    In der Nische zwischen den nächsten beiden Säulen stand ein Menschenpulk, dessen Aufmerksamkeit einer über den Bahnsteig defilierenden Abordnung galt . A ngeführt wurde die Delegation von einem jungen Mann, der fürchterlich ernst durch seine Hornbrille guckte. Er trug einen hochgeschlossenen Uniformrock mit zwei aufgenähten Taschen und eine schwarze Hose, die in hohen Stiefeln steckte.
    Der junge Mann schritt in majestätischer

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