Im Visier des Todes
wäre, wüsste ich davon, es ist schon eine Leistung, wenn er seinen Wagen selbst auftankt. Ich buche seine Tickets, seine Hotels … Er ist ganz sicher nicht verreist.« Elinor schwieg einen Augenblick. »Was hat er Ihnen über dieses seltsame Verreisen denn genau erzählt?«
Sie erhob sich langsam, taumelte. Seine Haarsträhne, die sie schon wieder festhielt, zitterte in ihren Fingern. »Ich habe eine SMS von ihm bekommen.«
»Aha!« Mehr sagte die Managerin nicht. Und legte auf.
Bestürzt sah Leah die Haarsträhne in ihrer Hand an. Süß. Kitschig. Wie die duftlosen Rosen an ihrem Krankenbett. Übelkeit stieg in ihr hoch. Das Büro begann sich vor ihren Augen zu drehen. Sie stützte sich an einer Wand ab, suchte Kays Namen in der Nummernliste ihres Handys, rief ihn an. Die Mailbox sprang an. Immer und immer wieder.
»Ist alles in Ordnung?«, zwitscherte Adrianna, fast am Rande ihrer Wahrnehmung.
Das Handy vibrierte erneut. Hektisch ging Leah ran. »Tun Sie ihm nichts … «
»Leah! Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich habe ein so ungutes Gefühl! Du musst sofort nach Hause gehen. Leah! Leah, hörst du mich?«
»Thessa?« Kraftlos ließ sie sich auf den Bürostuhl sinken, stützte sich mit einem Ellbogen auf den Tisch und drückte sich den Ballen der freien Hand gegen die Stirn. »Was ist passiert?«
»Ich weiß es nicht. Ich … Ach, Leah, was soll ich nur tun?«
»Durchatmen, wie immer.« Sie biss sich auf die Unterlippe und bemühte sich, weniger Kratzbürstigkeit an den Tag zu legen. »Entschuldige. Ich habe nur etwas Stress und weiß nicht, wo mir der Kopf steht. Also, ganz von vorn: Was ist los?«
»Ich bin gerade zu euch nach Hause gekommen, hatte vorher einen Termin, weißt du, und die Eingangstür steht offen. Ich habe mich nur bis zur Schwelle getraut … Was ist, wenn bei euch eingebrochen wurde? Wenn es … du weißt schon … der Mörder ist? Wenn er nach mir sucht? Die Tür steht ja offen!«
Nein. Bitte nicht. »Oder meine Mutter hat es wieder einmal mit der Weihnachtsbäckerei versucht. Erinnerst du dich noch? Die eingeäscherten Plätzchen?«
»Ich habe nach ihr gerufen, aber es ist so still hier.«
Still. Wie ein stummer Schrei auf einer Fotografie. Sie presste die Zähne zusammen. Durchatmen – ein guter Rat. »Manchmal legt sie sich nur hin. Schau nach, ob wirklich eingebrochen wurde.«
Sie wartete. Schließlich ertönte aus dem Handy ein Rascheln, eine Stufe quietschte – die zweite von oben, die zum Vordach führte.
»Der Läufer im Flur ist verrutscht.« Eine Pause. Lautlose Schritte, doch Leah glaubte, jeden einzelnen davon zu spüren. Genau zwölf bis zum Wohnzimmer. »Das Telefon liegt auf dem Boden. Das Display hat einen Riss. Ich … ich habe ein wirklich mieses Gefühl.« Etwas klapperte. »Es wird eine neue Nachricht angezeigt.«
»Spiel sie ab.« Die verkrampfte Hand um das Handy tat weh, doch wenn sie ihre Haltung lockerte, würde das kleine Ding ihren feuchten Fingern einfach entgleiten. »Mutter hinterlässt oft Nachrichten, wenn sie weg will. Vielleicht hat sie vergessen, die Eingangstür abzuschließen.«
»Okay.« Mit einem leisen Klicken schaltete Thessa den Anrufbeantworter ein. »Hier. Hörst du?«
Noch nicht. Noch gar nichts. Nur ein Rascheln oder Rauschen, nur … »Wenn du diese Nachricht abhörst, bin ich vielleicht … « Die leicht verzerrte, weit entfernte Stimme ihrer Mutter, zitternd und stotternd, ein bisschen wie die alte Waschmaschine im Keller, die stets Socken schluckte. Ein unverständliches Murmeln, der Atem ging schneller und schneller. » … Hilf mir … nicht! Nein! … « Ein Scheppern, da der Hörer auf den Boden geknallt sein musste, erneut Stille. Ein stummer Schrei vom Speicherchip eines seelenlosen Geräts, das die ihm anvertraute Angst genauso seelenlos abspielte, wie es sie aufgenommen hatte. Leah schluckte.
»Bist du noch da? Leah?«
»Ja. Ja, ich komme heim.«
»Hier ist noch ein Foto, auf der Telefonanrichte, wo die Station gestanden hat, und … «
»Rühr nichts mehr an! Ich bin so schnell wie möglich da.«
Sie rannte in Mr Bigs Büro. Egal, ob er ihr einen halben Tag freigab oder eine weitere Abmahnung reinwürgte – sie musste weg.
Thessa saß auf den Stufen vor dem Haus, ihr Handy lag wie ein Vogelbaby in ihren zu einer Kehle geformten Händen.»Scheißdreck!« Célines Stimme tönte durch den Vorgarten. »Thess, warum nimmst du nicht ab? Oder hast du wieder vergessen, den Akku zu laden? Ich muss mit dir
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