Im Visier des Todes
mit den Schulterblättern eine Landschaft aus Licht und Schatten. Der Po hingegen erhob sich nur mit einer undeutlichen Sichel aus dem Dunkel.
Sie stellte sich vor, wie ein maßgeschneiderter Mantel sich bei jeder Bewegung um seinen Körper spannte und manchmal diese Muskeln erahnen ließ. Sie dachte an seine Hände und die kräftigen Arme. Wie sie in ihnen gelegen haben musste, als er sie ins Schlafzimmer trug.
Verdammt, nein! Sie durfte nicht an ihn denken. Nicht, bevor sie herausgefunden hatte, was er über die Fotos wusste.
Geräuschvoll sog Leah die Luft ein. Es war schon bedenklich, was so eine Darstellung irgendeines nackten Körpers in ihr auslöste. Sie sollte dringend etwas gegen ihren Östrogenspiegel tun. Vielleicht würde es helfen, ihre Hassliebe zum Joggen aufzufrischen.
»He, träumst du? Ich habe alles beschriftet. Willst du sie heute noch mitnehmen?«
Richtig, die Kartons. Mit den Fingerspitzen strich sie über die staubig riechende Pappe. » Persönliches Zeug « , war auf den obersten Karton gekritzelt. Hoffentlich passte das alles in Mutters alten Fiat. »Hilfst du mir, sie ins Auto zu tragen?«
»Ich muss mich anziehen. Na gut. Warte kurz.« Das blonde Feenwunder entschwand in die Tiefen der Wohnung.
Irgendwo klingelte das Telefon.
Kurz darauf lugte Nathalie ins Schlafzimmer, den Hörer mit einer Hand verdeckt. »Entschuldige, das ist wichtig. Schaffst du das mit den Kartons allein? Die sind nicht schwer.«
»Ja. Natürlich.« Wer es geschafft hatte, seine Schwester zu begraben, würde nicht unter dem persönlichen Zeug zusammenbrechen.
Mit dem überdimensionierten Pappkarton zwängte sie sich durch die Eingangstür, schaltete mit dem Ellbogen das flackernde Licht an und tastete mit der Fußspitze nach den Stufen. Auf dem nächsten Treppenabsatz rempelte sie eine Frau an, die den aus ihren Armen kippenden Karton geschickt auffing.
»Entschuldigung.« Leah reckte den Hals, um an der Kiste vorbeizublicken.
»Nichts passiert. Oh! Sie räumen Célis Sachen weg?«
»Sie kennen Céline?« Erst jetzt registrierte sie den kupferfarbenen Pixie-Schnitt und wäre am liebsten gleich hinter dem Karton verschwunden. Man sah sich immer zweimal im Leben.
»Wir wohnen – ich meine, wir haben zusammengewohnt«, erwiderte die junge Frau. Vielleicht flackerte das Licht zu sehr, dass sie Leah nicht erkannte. Vielleicht war sie auch zu höflich, um den Vorfall auf der Trauerfeier anzusprechen.
Leahs Wunsch, hinter dem Karton zu verschwinden, verwandelte sich in den Drang, gänzlich in den Karton zu klettern. Mit einem Postaufkleber: nach Grönland, in die tiefste Eiswüste. Wo sie sich dann nur vor Robben in Grund und Boden schämen müsste.
»Ich nehme an, Nathalie haben Sie schon kennengelernt. Ich bin Thessa, die Dritte im Bunde.« Umständlich reichte die junge Frau ihr eine Hand. Der Karton kippte erneut, und Thessa senkte rasch den Arm, um ihn zu stützen.
»Ihr habt zu dritt zusammengewohnt?« Leah versuchte, das Gewicht zu verlagern. »Das ist etwas verwirrend. Ich habe nur Célines Namen auf dem Klingelknopf gesehen.«
»Céline!« Thessa lachte leise und mit einer Wärme, in der sogar das klamme Treppenhaus etwas gemütlicher erschien. »In ihrer Gegenwart konnten wir, die anderen, nur c/o sein. Warten Sie, ich helfe Ihnen beim Tragen.«
»Nein, nein, das ist wirklich nicht nötig.« Doch Thessa übernahm bereits die Führung. Zusammen schleppten sie die Sachen auf die Straße, der Fiat ächzte, als sie den Karton in den Kofferraum hievten.
»Vielen Dank! Ich bin übrigens Leah, Célines Schwester.« Nun konnte sie Thessas Hand schütteln. Der Druck der langen, gepflegten Finger war überraschend kräftig. Das freundliche Gesicht bestach vor allem durch seine Natürlichkeit, es hatte etwas von der stillen Schönheit einer Margerite. Ein hübsches Mädchen. Eins von tausend anderen.
Leah merkte, dass sie Thessas Hand bereits zu lange hielt, und ließ sie los. »Entschuldigung! Ähm. Ich meine: Ich muss mich noch bei Ihnen entschuldigen.«
»Wofür?«
»Auf der Trauerfeier habe ich mich unmöglich aufgeführt. An dem Tag war alles einfach zu viel für mich. Ich glaube, ich wäre in dem Moment auf jeden losgegangen. Nun ja, wenigstens beiße ich noch nicht.«
»Keine Sorge, das verstehe ich. Ich habe mir die ganze Zeit überlegt, wie ich mein Beileid ausdrücken sollte, und bekam schließlich doch nichts zustande außer ein paar Floskeln.« Ihr Gesicht trübte sich, sogar der
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