Im Visier des Todes
verstehst.«
Das Flüstern in der Nacht, in die Leere der Gasse geschickt. Wer wird es erhören? Nicht für die Ohren der Fremden ist es bestimmt. Nur wenige laufen hier entlang, in ihren Trott versunken, blind für die Nöte der Mitmenschen. Die Klagen der Gerechten lassen sie kurz aufsehen und noch schneller davoneilen. Niemand, niemand blickt zurück, denn man ist unsichtbar in ihrer Welt. Nein, verstehen werden sie nie.
Beschützenswert ist das blühende Leben. Doch ermahnt gehört der junge Leichtsinn. Du fliehst die Straße entlang. So federleicht ist dein Gang, wenn du in dein Unglück rennst. Die Blicke, ein klein wenig verschreckt, die Neigung des Kopfes, wenn ein fremdes Geräusch dich erreicht. Angst ist dein steter Begleiter. Dabei ist nah die Erlösung, denn du bist niemals allein.
»Zeig mir, dass du mich brauchst.«
Die Stimme der Vernunft soll in deine Ohren fließen, umkehren sollst du vom falschen Wege. Was suchst du auch nach der Wahrheit, die es nicht gibt? Was geschehen ist, ist geschehen. Sag nun, sehnst du dich nicht nach Ruhe? Doch die Wahrheit wird dir keine Ruhe gönnen, noch mehr wirst du verzweifeln und unter der Schuld wie ein trockener Halm einknicken.
Nein, nein, dein Weg ist es nicht. Halt an, flieh nicht, besinne dich doch! Nur vier Worte, und es wird dir vergeben, nur ein stilles » Ich bleibe bei dir « . Oder bist du so blind wie die anderen? So verdorben vom Glitzern der Welt?
Errettet werden sollst du von all deinen Fragen, mit Furcht wirst du deinen Frieden erkaufen. Lauf, solange du kannst, blicke umher, ohne etwas zu sehen! Deine Erlösung naht. Spürst du schon ihre Schritte? Hörst du schon ihren Atem? Dreh dich nicht um. So ist es gut. Sie ist nah. So nah.
Eine Berührung, und schon brichst du zusammen. So schmerzhaft zucken deine Muskeln, erschlaffen. Kämpfe nicht, lass die Nacht dich erobern. Ein Tuch senkt sich auf dich nieder. Die süße Schwere ist reinste Gnade, doch nicht lange wird sie dich in Träumen halten.
Wo sind die Retter in der Not? Wer kann dir helfen? Niemand sieht dich hier liegen. So lieblich ist dein Gesicht. So voller Vertrauen die blassen Züge.
»Lass uns fortgehen. Zusammen.«
Das lange Haar schwimmt im trüben Pfützenwasser, in dem der Mond sein Antlitz wäscht und das Silber des Eismädchens der schwarzen Pracht schenkt.
»Zeig mir, dass du es willst!«
14
Auf Samtpfoten schlüpfte eine Silhouette durch den Türspalt, den Schwanz mit der zuckenden Spitze aufgestellt.
»Du miese Verräterin«, stöhnte Leah und drückte die Stirngegen die Stiefeletten, die sie vor sich hielt. Ein Fehler. Auch Models hatten Füße, die nicht immer nach Himmelhauch Nr. 5 rochen.
Die Katze steckte den Kopf unter das Bett und jagte mit einer Pfote nach den Absätzen.
»Kusch!« Leah zog die Stiefeletten näher zu sich heran. Die Katze stieß weiter unter das Bett vor, mit ausgefahrenen Krallen nach dem Reißverschluss angelnd. Sehr modebewusst, die kleine Pelzträgerin.
»Platz!«, wagte sie einen neuen Versuch. Und schließlich: »Geh weg, bitte«, als das Fell ihre Nasenspitze zu kitzeln begann. Sie kam nicht gut mit Katzen zurecht. Eigentlich kam sie auch nicht gut mit Hunden zurecht. Wenn sie daran dachte, wie Rocky die Leine um ihre Knöchel gewickelt oder ihre Handtasche vollgesabbert hatte, wie Stiefpapa dabei immer gelacht hatte. Da hatten » Kusch! « und » Platz! « genauso wenig Erfolg gebracht.
Unter dem Bett eingezwängt, gelang es ihr nur, den Kopf zu drehen, mal zur Wand, mal zur Tür, an der sie ab und zu die Gestalt eines Mannes vorbeilaufen sah. Bei jedem Atemzug spürte sie den Lattenrost im Rücken. Und die Katzenhaare in der Luft. Sie war nicht allergisch, zumindest hoffte sie das, aber bisher hatte sie es ja auch nicht von Angesicht zu Angesicht mit einem Hardcore-Perser aushalten müssen. Oder welcher Gattung dieser miauende Freddy Krueger auch angehörte.
Die Schlafzimmertür ging weiter auf.
Ihr Inneres zog sich zusammen, erstarrte zu einem einzigen Klumpen Eis.
Genauso lautlos wie die Katze kam der Mann herein und blieb vor dem Bett stehen. Er hatte sie entdeckt. Er wusste, wo sie war. Gleich würde er sie unter dem Bett hervorzerren …
Leahs Herz klopfte SOS gegen den Brustkorb, sie glaubte es durch den Boden zu hören, wenn sie ein Ohr an die Dielen drückte. Wenigstens ließ die Katze von den Stiefeletten ab und begann seine Socken und den Saum seiner Jeans zu zerfransen.
Katzenhaare. Nicht niesen!
»Nein,
Weitere Kostenlose Bücher