Im Visier des Todes
ertönte ein leises Kratzen. Es klang metallisch, unregelmäßig, brutal in seiner Zaghaftigkeit.
Merkwürdig.
Stufe um Stufe schlich sie nach oben.
Célines Haarfarbe. Auf Höhe des Schlosses vor einer der Türen.
Leah brauchte nicht lange zu grübeln, welcher Name auf dem Schild zu der Wohnung stand. Ebenso wenig musste sie rätseln, was Nathalie da machte. »Und wenn nicht ich, sondern dieser Typ dich dabei erwischt hätte?«
Die junge Frau fuhr herum. Ein Stück Draht fiel zu Boden, ein weiteres – eine aufgebogene Büroklammer – hielt sie in der Hand. Ihre weit aufgerissenen Augen machten das Gesicht lebendig in ihrer Panik, dann wurden die Züge gleichgültiger. »Leah!« Sie senkte die Stimme zu einem Wispern. »Zum Teufel, hast du mich erschreckt. Jetzt steh nicht so blöd herum. Guck lieber, ob einer kommt oder nicht. Dann bin ich mit dem verflixten Schloss im Nu fertig.«
»Wie bitte? Ich soll Schmiere stehen, während du in eine fremde Wohnung einbrichst? Bist du noch bei Sinnen? Thessa macht sich Sorgen um dich. Wie ich sehe, nicht grundlos.«
»Pst! Schrei doch nicht so. Thessa macht sich schon ins Höschen, wenn im Bad ein Silberfisch an ihr vorbeiflitzt.«
Leah senkte auch ihrerseits die Stimme und gab ihrem Flüstern mehr Nachdruck: »Ich bin hier, um dich davon abzuhalten, Dummheiten zu machen. Du kommst jetzt mit mir, oder ich rufe gleich den Hausmeister, die Polizei und … «
»MacGyver. Der könnte mir ruhig zur Hand gehen. Hör mal, du Miss Marple in der Ausbildung« – sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen –, »irre ich mich, oder wolltest du dem Mörder deiner Schwester auf die Schliche kommen? Was ist, wenn ich dir sage, dass du da drin genau das findest, was du suchst?«
»Dann wäre es höchste Zeit, die Polizei zu informieren und ihr die Infos, falls du welche hast, zu geben.«
»Die Polizei!« Der Ruf hallte durch das Treppenhaus. Nathalie presste die Lippen aufeinander, horchte. Schließlich tastete sie nach dem Draht und flüsterte: »Die hat es auch weit gebracht bis jetzt, nicht wahr? Nachdem Céline diesen Nick kennengelernt hatte, war sie nicht mehr dieselbe. Sie hatte Angst. Ich will wissen, wovor.«
»Was hast du bei Céline gefunden? Thessa hat mir erzählt, dass du in den Sachen meiner Schwester herumgewühlt hast.«
»Fotos.« Hastig befeuchtete Nathalie sich erneut die Lippen. »Überwachungsfotos oder so, die sie wohl bei Nick entdeckt hatte. Es ging um ein paar Mädchen, denen er nachgestellt hatte. Was weiß ich. Deshalb bin ich ja hier.« Wieder kratzte der Draht im Schloss.
Überwachungsfotos von Mädchen? Sollte Céline diese tatsächlich entdeckt haben, dann machten die Abschiedsworte ihrer Schwester immer mehr Sinn. Ihr liebes, forsches Entlein war wohl tatsächlich in etwas sehr Großes und sehr Hässliches hineingeraten.
Leah hockte sich neben Nathalie. »Du kannst eine Tür aufbrechen?«
»Man lernt so einiges, wenn man die Schule oft genug schwänzt«, schnaufte es unter der schneeweiß-blonden Haarpracht. »Voilà!«
Erleichtert blickte Nathalie sich um, trat über die Schwelle und bedeutete Leah, ihr zu folgen. Der Spiegel reflektierte ihre schlanke Figur in einer geöffneten Fliegerjacke, die knapp unterhalb ihrer Brust endete. Die langen Absätze der mokkafarbenen Stiefeletten bohrten sich in das Laminat.
»Beweg endlich deinen Hintern rein.« Ihr Winken wurde energischer. »Und mach die Wohnungstür zu. Pass auf, was du anfasst, und leg alles genau so zurück, wie es vorher war. Kapiert?«
Leah zog die Tür hinter sich zu. »Hast du eine Ahnung, wonach wir suchen sollten?«
Erneut fuhr Nathalie sich mit der Zunge über die Lippen. »Nach allem, was verdächtig wirkt. Akten, Notizen – irgendwo wird er die Infos über die Mädchen, die er verfolgt hat, ja aufbewahren.«
Leah sah sich um, drückte gegen die Klinke rechts von ihr und spähte ins Bad. Hier sicherlich nicht. Die nächste Tür führte in die Küche. So viel zu ihrem Spürsinn. »Tust du das wirklich für Céline? War Céline tatsächlich deine Freundin?«
»Klar. Irgendwie schon. Und Thessa. Mit ihr bin ich durch dick und dünn gegangen und knapp am Jugendknast vorbei. Was ist mit dir? Hast du eine beste Freundin?« Nur allzu bereitwillig hatte Nathalie den Small Talk aufgenommen. Auch nur, um nicht an die Gefahr zu denken?
Leah zuckte die Schultern. Was ist mit dir? – die ewige Frage, die Céline ihr immer wieder gestellt hatte. Darauf ihr Schulterzucken: Was
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