Im Visier des Todes
nach draußen drang, sondern zurückgehalten wurde.
Leah blinzelte, schüttelte den Kopf und registrierte erst jetzt den Sack, der ihr jegliche Sicht verwehrte. Ein Strick hielt die Öffnung an ihrem Hals zu. Sie atmete heftiger, schüttelte wieder und wieder den Kopf. Schweiß trat ihr auf die Stirn. Der Strick lag viel zu eng um ihren Hals, schien ihr jegliche Luft zu rauben. Sie würde ersticken.
Plötzlich schrie sie, warf sich herum und wand sich in ihren Fesseln, bis ihre Glieder schmerzten. Dann sammelte sie ihre Kräfte. Noch einmal versuchte sie, gegen die Fesseln anzukämpfen, doch die Knoten zogen sich nur noch fester zusammen.
Eine Weile lag sie still da, erschöpft, mutlos, lauschte dem steten Rauschen der Reifen. Es gab kein Entkommen. Warum versuchte sie es überhaupt? Verrenkte sich die Glieder nur noch mehr, scheuerte sich mit den Seilen die Haut von den Gelenken.
Sie konzentrierte sich auf die Sinne, die ihr noch geblieben waren. Der Geruch … Da war doch ein Geruch, der ihr vertraut schien. Doch inzwischen roch sie nichts mehr, nur den Sack über ihrem Kopf, den rauen, undurchsichtigen Stoff, in dem sich der Geruch von alten Kartoffeln verfangen hatte. Es gab keine Geräusche, die ihr einen Anhaltspunkt gegeben hätten, wo sie war oder wer sie in seiner Gewalt hatte. Sie konnte nichts tun. Absolut nichts. Nur warten, bis ihr Peiniger ihre letzten Stunden der Angst und der Schmerzen auf seine Fotos gebannt hatte.
Sie biss sich in die Unterlippe, um nicht laut zu wimmern, schmeckte ihr eigenes Blut. Noch einmal tastete sie über die Fesseln, zerrte und kratzte an den Knoten. Schweiß rann ihr über das Gesicht. Sie röchelte, erstickte beinahe an den eigenen Anstrengungen. Der Sack juckte auf ihrer heißen, feuchten Haut. Es machte sie wahnsinnig. Sie zerrte noch heftiger an den Seilen, warf den Kopf mal zur einen, mal zur anderen Seite, ohne Erlösung zu finden. Ihre Kräfte schwanden.
Keuchend verharrte sie, zählte die eigenen Herzschläge, um der Angst keine Chance zu geben, sie zu bezwingen. Nein, wie ein Lamm auf der Schlachtbank würde sie sich ihrem Peiniger nicht ergeben. Er würde ihren Willen nicht brechen, niemals erleben, wie sie ihren Körper vor ihm rekelte, um seine Gnade zu erbitten, um endlich aus den Qualen entlassen zu werden. Sie schwor es sich. Jede Sekunde in seiner Gefangenschaft würde sie nur daran denken, wie sie ihm entkommen könnte, nichts unversucht lassen.
Das Auto verlangsamte das Tempo, schien abzubiegen. Es ertönte kein Rauschen von dahinschnellendem Asphalt unter den Reifen mehr. Der Wagen holperte, während er einen vermutlich schwer zugänglichen Weg entlangkroch. Mit dem nächsten Ruck wurde ihr Körper gegen die Wand des Kofferraums geworfen. Sie sammelte sich, reckte die Finger und die wund gescheuerten Gelenke, um wenigstens etwas zu ertasten. Vielleicht eine scharfe Kante, an der sie ihre Fesseln durchtrennen könnte. Fand jedoch nichts.
Fieberhaft überlegte sie sich andere Lösungen, irgendeinen Ausweg, der ihr noch blieb, bis sie begriff, dass der Wagen sich nicht mehr bewegte.
Eine Tür schlug zu. Ihr Entführer stieg aus.
Sie zählte ihre Herzschläge. Eins, zwei … Ihre Gedanken verhedderten sich zu einem wirren Knäuel. Nein, nicht der Panik nachgeben. Eins, zwei, drei, ein tiefer Atemzug, vier, fünf …
Der Kofferraum wurde geöffnet. Sie spürte die klamme Kälte, die zu ihr wehte, einen leichten Wind, der durch den Stoff an ihr Gesicht drang. Wie eine Ertrinkende rang sie nach Luft, bis sich ihr Atem etwas beruhigte. Ganz still lag sie da. Wo war ihr Peiniger? Was hatte er mit ihr vor? Wollte er sie zu seinem Verlies tragen? Vielleicht würde er sie selbst gehen lassen, dann könnte sie versuchen …
Grob wurde sie auf den Bauch gedreht. Eine behandschuhte Hand – Latex, es fühlte sich eindeutig an wie ein Latexhandschuh – griff nach ihrem Oberarm. Gleich darauf spürte sie einen Stich in ihre Haut. Sie biss die Zähne zusammen, knurrte, bog ihren Rücken durch.
»Scht!« Ihr Gesicht wurde gegen den Boden des Kofferraums gepresst. »Scht!« Ganz nah, an ihrem Ohr.
Sie stemmte sich gegen den Griff, kam jedoch nicht dagegen an, gab nach.
Behutsam strich ihr eine Hand über den Kopf, drückte sie nieder, sobald sie sich aufzubäumen versuchte. Zählen. Zählen gegen die Panik, gegen die Hilflosigkeit. Zählen, bis die letzte Kraft aus ihr herausgetröpfelt war und ihr Körper schwer und wie ausgehöhlt dalag. Sie merkte, wie
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