Im Visier des Verlangens
also Bescheid.“ Louisas Miene versteinerte. Schützend schlang sie die Arme um ihr schlafendes Kind. Ihre Augen verengten sich kämpferisch, wobei ihre mutlos hängenden Schultern ihren Kampfgeist Lügen straften.
„Nein, noch nicht. Und so soll es auch bleiben. Er ist rasend vor Wut. Und – bedauerlicherweise – wohnt er in meinem Haus.“
„Verstehe.“ Louisa stieß den Atem hörbar aus, und dann lächelte sie tapfer. Nur ihr Blick flog unstet umher. „Nun ja,wenigstens vertreiben mir meine Sorgen die Langeweile. Ich hätte nie gedacht, dass mir diese grässlichen Damenkränzchen der Benefizgesellschaft einmal fehlen würden, aber im Moment würde ich alles geben für eine hitzige Debatte über die Vorzüge des Bestickens von Taschentüchern gegen das Stricken von Socken und Handschuhen.“ Sie lächelte müde. „Ich habe wenig Beschäftigung, außer über Jeremy zu wachen. Und der Kleine schläft erstaunlich viel.“
Im Verlauf der keineswegs damenhaften Beschäftigung, der Kate sich widmete, um Ehefrauen zur Flucht vor ihren gewalttätigen Ehemännern zu verhelfen, hatte sie die unterschiedlichsten Reaktionen der Opfer erlebt. Eine entflohene Frau hatte nach zwei Tagen darum gebeten, zu ihm zurückgebracht zu werden, weil ihr Gatte sie liebe und nicht ohne sie leben könne. Er würde sie nie wieder schlagen, hatte sie beteuert. Eine andere hatte drei Wochen in einer Ecke dieser Hütte gekauert, Essen und Trinken verweigert, bis sie so schwach war, dass sie kaum noch gehen konnte. Wieder eine hatte die Chance beim Schopf gepackt und war mutig in die Freiheit entflohen. Louisa war irgendwo zwischen diesen Extremen einzuordnen.
Ehe sie Kate endlich gestand, dass Harcroft sie ständig verprügelte, hatte Louisa monatelang von ihren Pflichten als Ehefrau gesprochen. Nach der Geburt ihres Söhnchens hatte sich das, was sie als Pflicht ihrem Ehemann gegenüber betrachtete, endlich in Mutterliebe verwandelt und sie dazu bewogen, ihrem Martyrium zu entfliehen. Es gab gewiss nicht viele Frauen in Louisas Situation, die über Langeweile scherzten, während ihre wütenden Ehemänner auf Rache sannen.
„Er bleibt nur ein paar Tage“, versicherte Kate. „Er wird keine Spur von dir entdecken, keinerlei Hinweise. Es gibt lediglich das Gerücht, eine rothaarige Frau habe einem Kaufmann Geld gegeben, der sie in seiner Kutsche mitnahm, und dann ist sie spurlos verschwunden. In spätestens einer Woche reist Harcroft wieder ab.“
Louisa nickte.
„Aber solange er hier ist, darf kein Verdacht auf mich fallen. Nicht ein Fünkchen. Er hält mich ohnehin für eine flatterhafte törichte Person, die nichts als modischen Firlefanz, Einladungen und Gesellschaftsklatsch im Kopf hat. Und darin werde ich ihn bestärken. In den nächsten Tagen widme ich mich der Unterhaltung meiner Gäste, plane festliche Essen, veranstalte Musikabende, auch wenn Blakely sich noch so sehr dagegen sträuben sollte.“
„Blakely ist mit ihm angereist? Harcroft trommelt wohl seine alten Freunde zusammen. Sicher hat er Blakely eingeschärft, dich so weit zu bringen, deine Geheimnisse auszuplaudern. Die ganze Sache ist wirklich sehr kompliziert.“
„Es ist sogar noch komplizierter“, gestand Kate. „Mein Ehemann ist wieder da.“
„Carhart? Seit wann?“
„Seit gestern. Ist das zu glauben? Warum nur ist sein Schiff nicht vom Kurs abgekommen, damit er sich wenigstens um zwei Wochen verspätet? Jedenfalls ist er wieder hier. Und ich befürchte, Ned wird ständig hinter mir her sein und mir auf die Nerven fallen. Gestern Abend …“
Sie unterbrach sich, da es ihr unpassend erschien, Louisa anzuvertrauen, was Ned gesagt hatte. Sein Versprechen war ihr im Dunkel der Nacht so aufrichtig erschienen wie ein Schwur. Irgendwie käme es ihr vor wie ein Vertrauensbruch, darüber zu sprechen.
Sei vernünftig, ermahnte sie sich.
Bevor sie sich eine Ausrede einfallen lassen konnte, schüttelte Louisa verständnisvoll den Kopf. „Ich weiß, es ist lange her seit … dem letzten Mal. Hat er dir wehgetan?“
Wenn es etwas Schlimmeres gab, als vertrauliche Gespräche zwischen Eheleuten auszuplaudern, so war es Louisas Bemühen, Kate zu trösten, weil ihr Ehemann – ein Mann, der bösartige Pferde mit Pfefferminz fütterte – ihr wehgetan haben könnte.
„Keine Sorge, meine Liebe“, fuhr Louisa tröstend fort. „Sollte er seine Nase hier hereinstecken, schieße ich auch ihn nieder, versprochen.“
Kate unterdrückte ein nervöses Lachen.
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